Im Luganeser Quartier Breganzona lebt Teresa in einem schäbig wirkenden Wohnblock. Sie öffnet die Tür in der dritten Etage des sechzehnstöckigen Hochhauses zu ihrer gepflegten und gemütlichen 4.5-Zimmer-Wohnung. Die 54-Jährige steckt das Gesuch für die Prämienverbilligung an den Kanton in das frankierte Kuvert. «Ich habe die Anfrage für dieses Jahr gemacht, aber ich glaube nicht daran. Vor allem, weil der Kanton fürs nächste Jahr die Unterstützung kürzen will.»
Tatsächlich sind die Prämienverbilligungen mit fast 400 Millionen Franken jährlich zu einem der grössten Ausgabeposten des Kantons Tessin geworden. Jetzt soll gespart werden. Schon im letzten Jahr ist Teresa leer ausgegangen.
Sie verdient für ihr 20-Prozent-Pensum als Hauswartin 600 Franken. Ihr Mann arbeitet im Strassenbau und hat einen Nettolohn von 4500 Franken. Für die Miete zahlen sie rund 1480 Franken, für die Krankenkassenprämien 1100 Franken. Dazu kommen Fixkosten wie Strom, Heizung und Versicherungen. Dennoch reicht es nicht für Unterstützung vom Staat.
Teresa wird angst und bange, wenn sie aufs nächste Jahr schaut. Die Krankenkassenprämie steigt für sie und ihren Mann um 88 Franken. Zudem müssen sie per Ende August die günstige Wohnung verlassen. Mit der Wohnungskündigung verliert Teresa auch ihren Job als Hauswartin. Das Hochhaus wird totalsaniert. Das sei eine Tragödie.
Szenenwechsel. Nur unweit des Wohnblocks von Teresa befindet sich die karitative private Organisation Amélie. Sie hilft Menschen mit ihren Alltagsproblemen: Das geht vom Einrichten des Smartphones bis zum Ausfüllen der Formulare für Sozialhilfe oder Prämienverbilligung.
Es ist bereits Feierabend. Sozialarbeiterin Céline Keles berät Luiz Marino Alvarez. Der 64-jährige Dominikaner lebt seit über 30 Jahren im Tessin und arbeitet als Reinigungskraft. Die Situation sei blickend aufs nächste Jahr kritisch für ihn, sagt er. Denn seitdem er einen Fixvertrag habe, verdiene er weniger als vorher auf Stundenlohnbasis. Netto sind es nun 2450 Franken. Gleichzeitig sind die Krankenkassenprämien massiv gestiegen.
Luiz Marino Alvarez sagt, er habe davon gehört, dass man Prämienverbilligung beantragen könne. Aber er habe nicht gewusst, wie man das mache. So irrte er von Amt zu Amt, bis ihm «Amélie» empfohlen wurde. «Die Frau hier hat mir geholfen, Prämienentlastung zu erhalten. Jetzt kriege ich 200 Franken.»
Er ist kein Einzelfall. Die Zahl jener, die Hilfe bei «Amélie» suchten, habe deutlich zugenommen, sagt Sozialarbeiterin Keles, die hauptberuflich bei der Stadt Lugano arbeitet. «Gegenüber dem letzten Jahr suchen viel mehr Leute Hilfe, um entweder die Krankenkasse zu wechseln oder Prämienverbilligung zu beantragen.» Keles stellt auch fest, dass die Leute immer weniger Verständnis für die steigenden Lebenshaltungskosten haben.
«Ja, das sind wir: Arme»
Auch Teresa vom Hochhaus ist wütend. Sie schaut unentwegt auf ihre Krankenkassenpolice und schüttelt den Kopf. Es sei einfach ungerecht, dass in der Schweiz alle die gleichen Prämien zahlen würden, egal wie viel sie verdienten.
«Die Reichen zahlen genau gleich viel wie wir Armen. Ja, das sind wir: Arme. Und ich schäme mich nicht dafür. Denn auch ich arbeite, seit ich 16 bin.» Deshalb holt sich Teresa jetzt Hilfe. Nicht bei der Stadt, sondern auch bei «Amélie». Sie hofft, dass man ihr dort hilft, damit sie im nächsten Jahr nicht ohne Job und ohne Wohnung dasteht.