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Arm, weil Sozialleistungen nicht bezogen werden
Aus Echo der Zeit vom 22.08.2024. Bild: Keystone/Christof Schuerpf
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Armut in der Schweiz Darum beziehen viele Armutsbetroffene keine Sozialleistungen

In der Schweiz ist jede zehnte Person arm. Ein Grund dafür ist, dass ein Drittel der Armutsbetroffenen die Sozialleistungen nicht bezieht, auf die sie eigentlich Anspruch hätten. Der Staat spart so viel Geld.

Darum geht es: Rund 30 Prozent der Menschen, die eigentlich Anspruch auf Sozialleistungen haben, beziehen diese nicht. Sie leben unter dem Existenzminimum. Das hat Folgen: Viele ernähren sich schlecht oder verzichten auf Zahnarztbesuche. Unter der prekären Lage leiden auch ihre Kinder. Die Gründe für den Nichtbezug sind vielfältig: Viele verstehen das System zu schlecht, scheitern an den administrativen Hürden, sind akut überfordert, es gibt aber auch Betroffene, die Angst vor Stigmatisierung haben oder davor ausgewiesen zu werden.

Die öffentliche Hand ist in einem Dilemma: Wenn Menschen in prekären Verhältnissen leben, hat dies Folgekosten für die öffentliche Hand, weil sich häufig ihre Gesundheit verschlechtert, sie sich verschulden und irgendwann doch noch Sozialleistungen beziehen. Gleichzeitig sparen die Steuerzahlerinnen und -zahler aber auch viel Geld, wenn Leistungen nicht bezogen werden. Wenn alle das Geld beziehen würden, auf das sie Anspruch haben, würde das zusätzlich schätzungsweise über 1.2 Milliarden Schweizer Franken kosten – jährlich.

So viel spart der Staat

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Die Berechnung: 8.6 Milliarden Franken hat die öffentliche Hand 2022 für armutsbekämpfende Sozialleistungen ausgegeben. Dazu gehören die Ergänzungsleistungen zu AHV/IV, verschiedene Beihilfen, die Alimentenbevorschussung und die Sozialhilfe. Die Prämienverbilligungen sind da zum Beispiel nicht mit eingerechnet.

Wenn die 30 Prozent Nichtbeziehenden Leistungen in einem ähnlichen Umfang beziehen würden, wie jene, die das schon tun, würde das zusätzlich 3.7 Milliarden Franken kosten. Es ist aber davon auszugehen, dass das vor allem Working Poor sind, sie also selbst auch etwas verdienen und darum weniger Leistungen beziehen.

Zudem gibt es Haushalte, die keine Leistungen beziehen, weil sie nur sehr wenig Geld bekommen würden. Es ist also realistisch davon auszugehen, dass diese Haushalte nur rund ein Drittel so viel Leistungen beziehen würden, wie jene, die das heute tun. Darum die eher konservative Schätzung von 1.2 Milliarden Franken jährlich.

Das tut der Bund gegen den Nichtbezug: Der Bund versucht die verschiedenen Akteure zu vernetzen, gute Beispiele aus den Kantonen bekannt zu machen und ein Armutsmonitoring mit Zahlen zum Nichtbezug aufzubauen. Direkt gegen den Nichtbezug tut er aber nichts. Astrid Wüthrich, Vizedirektorin des Bundesamts für Sozialversicherungen, sagt: «Den Zugang und Kontakt zu den Behörden können nur die Kantone und Gemeinden verbessern.» Bei den Ergänzungsleistungen ist der Bund aber gemeinsam mit den Kantonen zuständig. Was tut der Bund da? Wie man dieses Thema mit den Kantonen angehen, sei noch zu klären, sagt Wüthrich. Der Kanton Jura hat den Bund kürzlich in einer Standesinitiative aufgefordert, den Zugang zu den Ergänzungsleistungen zu erleichtern oder sie sogar automatisch auszuzahlen.

Das tun die Kantone und Gemeinden gegen den Nichtbezug: Sieben Kantone berechnen den Anspruch auf Prämienverbilligungen direkt anhand der Steuer- und Registerdaten und zahlen sie automatisch aus. Dieser Ansatz liesse sich auch auf andere Sozialleistungen übertragen oder man könnte mögliche Anspruchsberechtigte darauf hinweisen, dass sie ihren Anspruch prüfen lassen sollen. 73 Gemeinden des Kantons Waadt haben eine Organisation gegründet, die direkt auf mögliche Betroffene zugeht, schaut, was sie brauchen und sie, wenn nötig, zu den Behörden begleitet. Der Kanton Jura hat eine Kampagne an öffentlichen Orten und in Zeitungen durchgeführt. Darin ruft er die Menschen auf, ihr Geld abzuholen. Viele Kantone scheinen aber keinen dringenden Handlungsbedarf zu sehen.

Echo der Zeit, 22.08.2024, 18 Uhr

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