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Gerichtsprozess in Solothurn Entführung, Verschwörung und ein Reichsbürger

Eine Mutter hat ihren 5-jährigen Sohn nach Deutschland gebracht. Sie steht wegen des Vorwurfs der Entführung vor Gericht. Sie sagt, sie habe ihr Kind vor Missbrauch schützen wollen.

Sie habe abklären wollen, ob ihr Sohn missbraucht wurde. Deshalb brachte die Mutter ihren Sohn im Herbst vor drei Jahren aus dem Solothurner Schwarzbubenland nach Deutschland. Soweit die Version der heute 43-jährigen Mutter, die sich jetzt vor dem Amtsgericht Dorneck-Thierstein verantworten muss.

Der Angeklagten wird vorgeworfen, ihr Kind entführt zu haben. Für die Solothurner Staatsanwaltschaft steht fest, dass sie den 5-Jährigen in den Herbstferien im Jahr 2021 ohne Zustimmung des Vaters ausser Landes gebracht hatte – der Vater hatte das alleinige Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn.

Umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen vor Gericht

Der Prozess startete am Dienstagmorgen in Solothurn unter umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen. Etwa ein halbes Dutzend Polizistinnen und Polizisten waren in der Kantonshauptstadt mit Eingangskontrollen beschäftigt.

Das Solothurner Obergerichtsgebäude
Legende: Der Prozess fand aus Platzgründen im Saal des Solothurner Obergerichts statt. Nebst der Mutter standen in Solothurn zwei weitere Frauen wegen Gehilfenschaft zur Entführung vor Gericht. SRF

Die Befürchtungen der Mutter – dass der Vater das gemeinsame Kind missbraucht haben soll – seien völlig aus der Luft gegriffen, hiess es vor Gericht. Neben der Entführung ist die 43-Jährige deshalb auch noch wegen übler Nachrede und Beschimpfung angeklagt.

Flucht zur «Patriotischen Union»

Ziel der Mutter war der bekannte Reichsbürger Maximilian Eder, der in Bayern lebte. Mit seiner Hilfe wollte sie den Missbrauchsvorwurf klären. Von den Schweizer Behörden fühlte sie sich im Stich gelassen. Über einen Monat war sie mit ihrem Sohn bei Eder. Dieser ist Mitglied der «Patriotischen Union». Jene Gruppierung plante laut Ermittlungen der Behörden, mit Waffengewalt gegen die deutsche Regierung vorzugehen. Im Jahre 2022 wurde Eder verhaftet.

Was sind Reichsbürger?

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Reichsbürgerinnen und Reichsbürger lehnen den Rechtsstaat ab. Sie wehren sich gegen dessen Strukturen. So zahlen sie beispielsweise keine Steuern oder Bussen und schikanieren die Behörden. Häufig werden Mitglieder dieser Bewegung auch als Staatsverweigerer bezeichnet. In Österreich und Deutschland ist diese Bewegung um einiges stärker ausgeprägt als in der Schweiz. Der Bundesrat hat in einer Stellungnahme Ende 2023 angegeben, dass die Szene der Reichsbürgerinnen und Reichsbürger in der Schweiz seit der Coronapandemie präsenter und sichtbarer geworden sei. 

Der Ex-Oberst verbreitet abstruse Verschwörungstheorien. Er behauptet, dass in der Schweiz ein Tunnelsystem existiere, durch welches Kinder entführt, versteckt und gefoltert würden. Eine mächtige «Elite» würde das Blut der Kinder trinken, um sich jung zu halten, glaubt Eder.

Entführung bedrohte Wohl des Kindes

Nicht nur ideologisch, auch hygienisch seien die Zustände beim Reichsbürger alles andere als vernünftig, geschweige denn kindertauglich gewesen, findet die Solothurner Staatsanwaltschaft. In der Anklageschrift ist die Rede von «besorgniserregenden» Zuständen. Dem Kindswohl sei die Entführung letztlich «in extremer Weise abträglich» gewesen. Der Junge durfte während seines Aufenthalts in Deutschland den Kindergarten nicht besuchen.

Erst nach einem Monat konnte die Polizei den Jungen ausfindig machen. Bei der Konfrontation mit der Mutter soll diese einen der deutschen Polizisten getreten haben, bevor die Behörden den Sohn schliesslich zurück zu seinem Vater ins Solothurner Schwarzbubenland bringen konnten.

Die Mutter schweigt mehrheitlich

Heute vor dem Amtsgericht machte die Mutter nur wenige Aussagen. Die Missbrauchsvorwürfe gegen den Vater? Der drohende Landesverweis? Sie konnte oder wollte nicht antworten. Bei den Fragen zum Reichsbürger Eder meinte sie, dass sie naiv gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von 17 Monaten bedingt und diverse Geldstrafen gegen die Mutter. Das Urteil wird am 8. November eröffnet.

Anwälte plädieren für Freisprüche

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Am Mittwoch haben die Anwälte ihre Plädoyers gehalten. Die Anwältin der Mutter bestritt, dass ihre Klientin an eine Verschwörungstheorie glaube. Die Mutter hatte zwar dem Kindsvater in einem E-Mail vorgeworfen, dass er seinen Sohn dem «Missbrauch zur Verfügung» stelle. Daraus zu schliessen, dass die Mutter an ein mächtiges Missbrauchsnetzwerk glaube, sei jedoch reine Interpretation der Staatsanwaltschaft. Zudem sei es keine Entführung gewesen. Die Mutter habe den Knaben zurückbringen wollen.

Die Anwählte der beiden mutmasslichen Helferinnen forderten ebenfalls Freisprüche. Beide argumentierten, dass ihre Klientinnen nichts von den Plänen der Mutter gewusst hätten. Sprich: Es sei ihnen nicht klar gewesen, dass die Mutter den Knaben nicht pünktlich in die Schweiz zurückbringt.

Wie der Vater heute vor Gericht sagte, geht es dem Jungen gut. Er sei nach der Entführung schon bald wieder in den Kindergarten gegangen.

Regionaljournal Aargau Solothurn, 29.10.2024, 17:30 Uhr ; 

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