Lockdowns, Maskenpflicht, Zertifikat, PCR-Tests – die Massnahmen, die der Bund und die Kantone während der Corona-Pandemie ergriffen, schränkten die Bevölkerung in ihrem Leben ein.
Die Diskrepanz zwischen Massnahmen-Kritikerinnen und -Befürwortern sorgte für Gräben in der Gesellschaft. Martin Bühler, während den letzten zweieinhalb Jahren Krisenchef und ab kommendem Jahr Regierungsrat, arbeitete die Krise in einer grösseren Evaluation für den Kanton Graubünden auf.
Den Bericht verfasst hat die Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle, Institutsleiterin der Stiftung Dialog Ethik. Die damit verbundene Auswertung der geführten Gespräche liegt seit dieser Woche vor. Auf 27 Seiten ist zusammengefasst, was besprochen wurde.
Gemäss Bericht lassen sich die Teilnehmenden grob in drei Gruppierungen unterteilen: Behördenvertreter des Kantons Graubünden und die beiden sich Widersprechenden - also eine Gruppe, der die Massnahmen zur Pandemie-Bekämpfung zu wenig restriktiv waren, und eine Gruppe, der sie zu restriktiv waren.
Erkenntnisse aus den Gesprächen waren beispielsweise:
- Entscheide und Handlungen des Bundes seien zu wenig evidenzbasiert gewesen, was zur gesellschaftlichen Polarisierung geführt habe
- Lobbygruppen hätten Einfluss auf die Entscheidungsfindung des Bundes gehabt
- Gutes Abschneiden aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive
- Vertrauensverlust in die Medien wie SRG, Tagesanzeiger, Blick etc., welche im Gleichschritt gehandelt hätten
Die Autorin Ruth Baumann-Hölzle schreibt, die Kontroverse entstehe nicht «aufgrund von unterschiedlichen Wertvoraussetzungen, sondern basiert auf der unterschiedlichen Einschätzung der Gefährlichkeit des Coronavirus und den daraus folgenden unterschiedlichen Gewichtungen». Entsprechend würden die Verhältnismässigkeiten der freiheitseinschränkenden Massnahmen verschieden beurteilt.
Das heisst: Eine Seite erachtet das Virus als ungefährlich, darum mache die Politik viel zu viel. Die andere Seite erachtet das Virus als sehr gefährlich, darum mache die Politik viel zu wenig. Daraus sei dann der Konflikt entstanden. «Man hörte gar nicht mehr auf die Inhalte, sondern spielte auf die Personen», sagt die Ethikerin.
Empfehlungen der Ethikerin
Zum Schluss des Berichts macht Baumann-Hölzle zahlreiche Vorschläge, wie es in einer nächsten Krise besser laufen könnte. Zum Beispiel:
- Anlaufstelle für Leute, die sich ausgeschlossen fühlen
- Grundrechte besser schützen
- möglichst viele Stimmen einbinden
- Wissenschaft und Medien sollen bewusster handeln
Für den Kanton Graubünden ist noch unklar, welche Empfehlungen beherzigt werden. Martin Bühler weiss aber, welche persönlichen Lehren er daraus zieht: «Dass man probiert, sensibel zu sein, die Problematik umfassend anzuschauen. Und dass dort, wo Spannungen entstehen, Verständnis für die verschiedenen Haltungen geschaffen wird.»