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Gletscher schmelzen schneller als erwartet
Aus SRF 4 News aktuell vom 28.09.2023. Bild: SRF/ETH Zürich/Matthias Huss
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Gletscherschwund in den Alpen «Alle Gletscher in der Schweiz haben stark an Dicke eingebüsst»

Ein neuer Bericht der Schweizerischen Kommission für Kryosphärenbeobachtung zeigt, dass die Gletscher letztes Jahr sechs Prozent verloren haben, in diesem Jahr schon vier Prozent. Damit ist in diesen zwei Jahren gleich viel Eis weggeschmolzen wie in den 30 Jahren zwischen 1960 und 1990. Die Untersuchung der Gletscher hat der Glaziologe Matthias Huss von der ETH Zürich geleitet. Er erklärt den Befund.

Matthias Huss

Matthias Huss

Glaziologe

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Seit vielen Jahren vermisst Matthias Huss den weltweiten Rückgang der Gletscher. Er leitet das Schweizer Gletschermesswerk an der ETH Zürich.

SRF News: Haben Sie Anfang Jahr eine derartige Extremschmelze erwartet?

Matthias Huss: Es hat sich schon relativ früh während des Winters abgezeichnet, dass dieses Jahr für die Gletscher wieder schwierig wird. Es gab Ende Winter wiederum wie im Jahr 2022 wenig Schnee. Der Schnee ist einer der wichtigen Faktoren, wenn es um den Gletscherverlust geht, neben den Temperaturen im Sommer natürlich.

Wenig Schnee, hohe Temperaturen: Ist das der Ursachenmix?

Genau. Es ist eine sehr ungünstige Kombination für die Gletscher, wenn wenig Schnee im Winter fällt, eine schlechte Schutzschicht besteht, und das kombiniert wird mit hohen Sommertemperaturen. Das ist der Worstcase, und der ist das zweite Jahr in Folge eingetreten.

Tatsächlich sind auch dieses Jahr wieder Gletscher verschwunden.

Haben die Gletscher an Dicke verloren oder sind einzelne Gletscher ganz verschwunden?

Alle Gletscher in der Schweiz haben stark an Dicke eingebüsst. Bei den grossen sieht man es weniger. Die kleinsten Gletscher leiden besonders unter solchen Extremjahren. Tatsächlich sind auch dieses Jahr wieder Gletscher verschwunden. Genau wissen wir das erst, wenn wir das nächste Inventar publizieren. Bei einigen Gletschern haben wir jedoch gesehen, dass sie praktisch weg sind. Wir haben zudem ein Messprogramm aufgeben müssen. Dieser Gletscher ist unterdessen zu klein, die Gefahren beim Messen sind für Forschende zu gross. Es geht um Steinschlag, Abrutschen von ganzen Berghängen auf diesem Toteis.

Zwei Männer mit Stangen auf einem Gletscher
Legende: Messungen auf dem Vadret Pers (GR) unterhalb der Eisbrüche des Piz Cambrena. SRF/ETH/M.Huss

Eine Studie Anfang Jahr 2023 hat ergeben, dass im Jahr 2100 vier von fünf Gletschern in der Schweiz ganz verschwunden sein werden. Geht es nach den neuen Erkenntnissen noch schneller?

Es ist schwierig zu sagen, ob so eine Extremschmelze jedes Jahr eintreten wird. Ich hielt das letzte Jahr für einen Ausreisser in diesem sowieso negativen Trend. Doch jetzt hat es sich wiederholt. Zwar müssen wir nicht jedes Jahr mit einem solchen extremen Jahr rechnen, doch der Trend ist klar. Dass wir die Klimaszenarien nun auf den Kopf stellen müssen, glaube ich nicht. Bis Ende Jahrhundert kommt es stark darauf an, wie sich die CO₂-Emissionen weltweit entwickeln.

Obwohl die Gletscher schon weiter oben und kleiner sind, als sie zum Beispiel 2003 waren, geht das Ganze fast ungebremst weiter.

Zehn Prozent Verlust in zwei Jahren. Macht man eine simple Rechnung, könnten die Gletscher schon in 20 Jahren verschwunden sein. Doch das wird wohl nicht der Fall sein?

Nein, so kann man nicht weiterrechnen, weil sich die Gletscher sozusagen anzupassen versuchen. Sie ziehen sich in höhere Lagen zurück und stossen ihre tiefliegenden Zungen mit starker Schmelze ab. Damit versuchen sie, sich zu stabilisieren. Aber genau das finde ich fast am eindrücklichsten an diesen starken Schmelzraten: Obwohl die Gletscher schon weiter oben und kleiner sind, als sie zum Beispiel 2003 waren, geht das Ganze fast ungebremst weiter.

Eine Person auf dem Jungfraugletscher.
Legende: Nur in grosser Höhe, wie hier am Jungfraujoch (BE/VS), blieb noch etwas Schnee von letztem Winter übrig. SRF/ETH/R.Moser

Kann sich der Trend noch umkehren oder ist das gar nicht mehr möglich?

Ausgeschlossen ist es nicht. 2021 war ein kühler und regnerischer Sommer mit einem sehr schneereichen Winter. Aber im heutigen Klima reicht eben auch ein perfektes Jahr nicht. Theoretisch könnte es sich schon umkehren, wenn das Klima sich über Jahrzehnte hinweg um drei Grad abkühlen würde. Aber wir sind auf dem Weg in die andere Richtung.

Das Gespräch führte Christian von Burg.

SRF 4 News, 28.9.2023, 10:05 Uhr ; 

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