Die meisten der rund 100 Tunnelbauer am Gotthard kommen aus dem Ausland: aus Polen, der Slowakei, Süditalien, Portugal. Ihre Heimreise zu ihren Familien dauert oft acht Stunden oder mehr. Das lohnt sich nicht, wenn man nur zwei Tage am Stück freihat.
Längere Schichten – längere Freizeit
So sehen viele ihre Familien nur einmal im Monat, wenn überhaupt. Denn der Schichtplan für den Untertagebau am Gotthard sieht so aus: sieben Tage Arbeit, zwei Tage frei, sieben Tage Arbeit, drei Tage frei, fünf Tage Arbeit, vier Tage frei.
Das passt den meisten Tunnelarbeitern nicht. Sie wollen stattdessen acht oder neun Tage am Stück arbeiten und danach fünf oder sechs Tage hintereinander frei.
Ich entfremde mich von Frau und Kindern.
Giuseppe Anello ist 43 und frustriert. Er arbeitet seit 20 Jahren im Tunnelbau. Er mache die Arbeit gerne, aber mit diesen Schichten vergehe einem die Freude. Er habe seine Frau und seine beiden Söhne in Catania schon 20 Tage nicht mehr gesehen.
«Ich entfremde mich von der Familie, meiner Frau und meinen beiden Söhnen». Er brauche von Airolo nach Catania rund acht Stunden für die Heimreise. Habe man da nur zwei, drei Tage frei, bedeute dies nicht Erholung, sondern Stress.
Work-Life-Balance auch bei Mineuren wichtig
Wolle er länger frei, müsse er Ferientage beziehen. Auch Arbeitskollege Paolo Danesi ist für dieses Modell. Seine Heimfahrt ins Südtirol dauert gegen fünf Stunden.
Man müsse sich nicht wundern, wenn das Durchschnittsalter der Mineure bei der Gotthardbaustelle bei etwa 50 Jahren liege, die Jüngeren würden solche Arbeitszeiten nicht mehr akzeptieren und auf andere Baustellen ausweichen. Dort sei man flexibler, meint Paolo Danesi.
Gewerkschaften und Arbeitgeber ziehen am gleichen Strick
Der Unmut der Mineure ist auch Rolf Dubach nicht entgangen. Er ist Bauingenieur bei der Marti Tunnel AG, welche die Arbeiten am Gotthardtunnel leitet. Als Arbeitgeber unterstützt er die Forderungen der Mineure, auch aus eigenem Interesse. Denn der Fachkräftemangel betreffe auch die Tunnelbaubranche. Im Gegensatz zu früher sei nicht mehr nur der Lohn das alleinige entscheidende Merkmal – es spielten auch andere Faktoren wie Arbeitszeitmodelle eine wichtige Rolle, so Dubach.
Bund signalisiert Entgegenkommen – erst 2026
Zusammen mit den Gewerkschaften setzt sich Dubach in der «paritätischen Arbeitskommission Untertagebau» dafür ein, dass die Tunnelbauer am Gotthard künftig acht oder neun Tage am Stück arbeiten können – und dafür sechs oder fünf Tage nacheinander frei erhalten.
Über 60 Gotthard-Tunnelbauer haben eine entsprechende Petition unterzeichnet. Für diese Ausnahmearbeitsbewilligung ist das Staatsekretariat für Wirtschaft (Seco) zuständig. Auf Anfrage schreibt es: «Da die Anzahl der Arbeitstage inklusive aller möglichen Ausnahmen auf 7 aufeinanderfolgende Tage begrenzt ist, ist es dem Seco nicht möglich, über diese Grenzen hinaus Bewilligungen zu erteilen.»
Geduld ist gefragt
Weiter hält das Seco aber fest, dass man sich der Besonderheit der Gotthardbaustelle bewusst und deshalb bereit sei, eine Gesetzesänderung zu prüfen. Allerdings dürfte dies nicht vor 2026 der Fall sein. Die Gewerkschaft Unia hofft deshalb auf ein Einlenken beim Bund. Sie reicht Ende Oktober einen entsprechenden Änderungsantrag bei der Eidgenössischen Arbeitskommission ein. Ob die Tunnelbauer so lange Geduld haben, wird sich weisen.