Manchmal staut es nicht nur vor dem Gotthardtunnel, sondern auch vor den Toiletten der Gotthard-Raststätte. In der Hochsaison nutzen täglich bis zu 8000 Menschen hier eines der 23 WCs oder 10 Pissoirs. Damit diese immer sauber sind, dafür ist Sarra Bouraoui zuständig. Seit zehn Jahren putzt sie hier die Toiletten.
Ich mache diese Arbeit hier gerne, es ist fast wie mein Zuhause.
Die Raststätte ist für sie mehr als nur ein Arbeitgeber: Vor 10 Jahren kam die gebürtige Tunesierin mit ihrer Familie von Italien in die Schweiz. «Das erst Jahr war schwierig, vor allem wegen der Sprache. Ich war viel zu Hause und allein. Aber durch die Arbeit hier fand ich Anschluss und lernte die Sprache», erzählt sie stolz. «Ich mache diese Arbeit hier gerne, es ist fast wie mein Zuhause.»
Noch stolzer macht sie, dass unterdessen auch ihre beiden Töchter hier auf der Raststätte arbeiten. Beide arbeiten als Betriebsassistentinnen und führen ein kleines Team. Oder, wie die stolze Mama sagt: «Sie sind Chefinnen.»
Wurzeln schlagen, wo andere nur durchfahren
Für Sarra und ihre Familie ist die Raststätte vor dem Gotthardtunnel ein wichtiger Ort im Leben: einer, der ihnen Halt gibt.
Ganz im Gegensatz zu den Gästen: Die verbringen hier im Durchschnitt nur 25 Minuten. 1.65 Millionen Besucher verzeichnete die Raststätte im Jahr 2023.
Wenn ich heute einen Lastwagen sehe, dann erinnert mich das an Griechenland und an meine Flucht.
Rund 120 Mitarbeiter aus 14 Nationen arbeiten auf der Gotthard-Raststätte. Nabizada Shafiullah flüchtete im Jahr 2016 aus Afghanistan in die Schweiz. Seit drei Jahren arbeitet Schafi, wie sie ihn hier nennen, in der Küche der Raststätte.
Seine Fluchtroute führte ihn von Afghanistan nach Griechenland. Um dann von dort weiter nach Italien zu kommen, klammerte er sich 18 Stunden lang unter einen Lastwagen. Jetzt arbeitet er an einem Ort, an dem täglich zig Lastwagen vorbeidonnern und wo sich die Menschen aus dem Alltag in die Ferien im Süden flüchten. «Wenn ich heute einen Lastwagen sehe, dann erinnert mich das an Griechenland und an meine Flucht», erzählt Nabizada.
Vom Brummen …
An über 100 Tagen hat es Stau vor dem Gotthardtunnel. Besonders an den Feiertagen im Frühling und in den Sommermonaten ist das Verkehrsaufkommen hoch – manchmal auch zulasten der Anwohner der Autobahn. Dann nämlich, wenn die Automobilisten versuchen, den Stau zu umfahren und auf die Kantonsstrasse ausweichen.
… zum Summen
In einem Teilzeitpensum arbeitet Judith Amstad im Shop auf der Raststätte. Daneben haben sie und ihr Mann noch eine Bergimkerei.
Mein Herz schlägt für die Natur und die Berge. Ich schätze aber auch den Menschenkontakt auf der Raststätte.
So wird bei ihr Zuhause, auf 1000 Meter über dem Meer, aus dem Brummen der Autos ein Summen der Bienen: zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Für Judith ergänzen sich ihre Berufe aber gut: «Mein Herz schlägt für die Natur und die Berge. Ich schätze aber auch den Menschenkontakt auf der Raststätte.»
Dass der Kanton Uri oft nur auf die Autobahn und den Gotthard beschränkt wird, das findet Judith schade. «Wir haben viel mehr zu bieten», sagt Judith.
Dies gilt wohl auch für die Raststätte. Denn so entpuppt sich der vermeintlich unpersönliche Ort, an dem Menschen nur vorbeiziehen, als ein Ort, an dem Menschen mit Freude und Stolz arbeiten und Wurzeln schlagen.