So muss sich ein Graffitikünstler, eine Graffitikünstlerin wohl das Paradies vorstellen: 3000 Quadratmeter Platz, wettergeschützte Wände, Leitern, Gerüste, Hebebühnen, Dispersion zum Grundieren, alles steht gratis zur Verfügung. Spraydosen können vor Ort im Shop erworben werden. Vor allem aber: Hier lässt es sich in Ruhe arbeiten, ohne Angst vor der Polizei. Denn im neu eröffneten «Graffland» in Opfikon ZH ist sprayen ganz legal.
Geschaffen wurde der Ort in der ehemaligen Kläranlage «Ara Glatt» in Opfikon, an der Stadtgrenze zu Zürich. In vielen freiwilligen Arbeitsstunden baute der Verein «Mehr Farben für Zürich» die ehemalige Kläranlage um.
Vor allem die früheren Klärbecken kosteten viel Zeit und Arbeit. Weil sie für das Sprayen zu instabil waren, mussten sie aufgefüllt werden. Eine Baufirma lieferte dafür gratis mehrere Tonnen Aushubmaterial. Eine elegante Lösung, der Umbau kostete auch so noch eine Stange Geld. 1.2 Millionen Franken investierte der Verein. Verschiedene Stiftungen, Gönner und der Kanton Zürich leisteten ebenfalls einen finanziellen Zustupf.
Platz für Kunst und Begegnungen
«Wir wollen Künstlerinnen und Künstlern eine legale Plattform bieten, auf der sie sich präsentieren können», sagt Mitinitiator Yassin Tair zu seiner Motivation. «Hier sind sie willkommen, nicht nur toleriert.» Offenbar ein hochwillkommenes Angebot: Am Eröffnungswochenende stürmten über 100 Kunstschaffende aus aller Welt die neue, legale Kunstoase und sprayten ihre Kunstwerke auf die Betonwände.
«Es gibt viel zu wenige solche Plätze für Kunstschaffende», sagt Yassin Tair weiter. «Wir sind sehr überzeugt davon, dass mehr legale Flächen auch zu ansprechenderen Motiven und Sujets für die breite Masse führen.» So wolle man das negative Image, welches der Graffiti-Kunst anhaftet, aufbrechen.
Denn negative Schlagzeilen wegen illegaler Sprayereien gibt es immer wieder. So wurde vor kurzem zum Beispiel die historische Mauer am Zürcher Lindenhof versprayt. Dass dies für Ärger sorgt, können Yassin Tair und sein Mitstreiter Tim Boller nachvollziehen. Auch sie seien nicht mit allem einverstanden, sagt Boller. Manchmal fehle es auch an Qualität. Trotzdem meint er: «Ich persönlich habe lieber farbige als graue Wände.» Schliesslich heisse ihr Verein auch «Mehr Farben für Zürich».
Hier sind die Künstlerinnen und Künstler willkommen, nicht nur toleriert.
Gearbeitet werden darf im «Graffland» grundsätzlich gratis. Einnahmen generiert der Verein mit dem Spraydosen-Shop, dem Café, der Vermietung einer Eventhalle oder Graffiti-Workshops.
Und die Initianten setzen auf Mitgliedschaften: «Wer regelmässig herkommt, von dem wünschen wir uns, dass er eine Jahresmitgliedschaft löst», so Tair. Diese kostet 60 Franken. Er betont aber auch, dass sie niemanden abweisen würden, der seinem Hobby nachgehen wolle. «Es gibt für jeden Kunstschaffenden Platz.»
Klingt tatsächlich paradiesisch – doch eine Regel gilt es trotzdem zu beachten im «Graffland»: In der Wahl der Sujets sind die Künstlerinnen und Künstler nicht völlig frei: «Wir tolerieren keinen Rassismus, keine beleidigenden Motive, keine parteipolitischen- oder Sportmotive.» Damit seien sie bis jetzt gut gefahren.
Ihr Fernziel: Auch Wände in der Stadt Zürich besprayen, legal natürlich. «Wir sind im Gespräch mit der Stadt», sagt Yassin Tair. Denn Kunst und Kultur im öffentlichen Raum, davon ist er überzeugt, sei ein Mehrwert für alle.