Die Grüne Partei der Schweiz hat ihren Regierungsanspruch erneut angemeldet. Auslöser für diese Debatte war das jüngste Wahlbarometer der SRG. Was für und was gegen den Einzug der Grünen in den Bundesrat spricht, erklärt die Politologin Sarah Bütikofer.
SRF News: Schaffen die Grünen aus heutiger Sicht den Sprung in den Bundesrat im Herbst 2023?
Sarah Bütikofer: Die Grünen haben sicherlich gute Argumente, um den Einzug in den Bundesrat zu fordern. Aber ob dieser Forderung auch Rechnung getragen wird, steht auf einem anderen Blatt. Denn der Bundesrat wird vom Parlament gewählt.
Was spricht für einen grünen Bundesrat, eine grüne Bundesrätin?
Die Grünen sind seit über 40 Jahren in der Schweizer Politik präsent. Sie haben bewiesen, dass sie weder eine Eintagsfliege noch eine Ein-Themen-Partei sind. Ihre Delegation im Nationalrat ist über die Zeit stetig gewachsen, im Ständerat sind sie zu fünft. Die Grünen kommen aus allen Landesteilen und unterschiedlichsten Kantonen ins Bundeshaus. Zudem hatten oder haben viele grüne Politikerinnen und Politiker in diversen Exekutiven von Kantonen und Städten Regierungsverantwortung inne.
Was spricht womöglich gegen die Grünen im Bundesrat?
Die Parlamentsmehrheit findet immer Gründe, weshalb die Integration einer anderen politischen Kraft gerade nicht passt. Die gesamten Erneuerungswahlen des Bundesrats finden jeweils nach den nationalen Ständeratswahlen statt und sind vom Verfahren her eher speziell.
Die Parlamentsmehrheit hat sehr viel Gestaltungsmacht bei der Zusammensetzung der Regierung.
Es kommt ein Mehrheitswahlrecht zur Anwendung und die Sitze werden der Reihe nach nach Amtsalter besetzt. Bei einer Vakanz folgt diese ganz zum Schluss. Die Parlamentsmehrheit, die in der Vergangenheit immer aus politischen Kräften der Mitte und rechts davon bestand, hat sehr viel Gestaltungsmacht bei der Zusammensetzung der Regierung.
Gemäss dem SRG-Wahlbarometer liegen die Grünen in der Gunst der Wählenden gleichauf mit der FDP. Müssten die Grünen einen freisinnigen Sitz anpeilen?
Rein rechnerisch betrachtet stünden dem politischen Spektrum rechts der Mitte wohl nicht wie heute vier, sondern eher drei Sitze zu. Aber die Zusammensetzung des Bundesrates folgt keiner mathematischen Formel. Es ist eher das Gewohnheitsrecht üblich. Die Zusammensetzung ergibt sich aus politischen Überlegungen. Und daher sollten die Grünen wohl auch eher auf einen Sitz einer politischen Kraft abzielen, die nicht ihr eigenes Programm vertritt.
Der Klimawandel steht an erster Stelle der Themen, die die Menschen beschäftigen. Das müsste den Grünen helfen, oder?
Der Erfolg der Grünen ist stark an die Umweltthematik geknüpft. Die Grünen besetzen dieses Thema und werden von vielen Wählenden als kompetent in diesem Bereich betrachtet. Zwar gibt es auch noch eine andere Partei mit «Grün» im Namen, die davon profitiert, die GLP. Doch gerade ein weiterer Wahlsieg der Grünen würde ihren Anspruch auf eine Vertretung in der Regierung unterstreichen.
Eine Garantie für einen Sitz im Bundesrat wäre das nicht?
Nein, nicht automatisch. Aber man könnte im Zusammenhang mit der Regierungsbesetzung auch noch einige andere Fragen in die politische Debatte einbringen: ein verbindlicheres Legislaturprogramm oder die Konkordanz.
Die Bundesversammlung kann vor starken Wählerverschiebungen und gesellschaftlichen Entwicklungen nicht die Augen verschliessen.
Die Verantwortung dafür kommt der Bundesversammlung zu. Und die kann vor starken Wählerverschiebungen und gesellschaftlichen Entwicklungen nicht die Augen verschliessen.
Das Gespräch führte Roger Aebli.