Das Wichtigste in Kürze
- Die Zürcher Gutachterfirma PMEDA des Arztes Henning Mast zerstörte in rekordverdächtig schnellen 36 Minuten die Existenz eines Mannes.
- Eine heimliche Tonaufnahme der Patientenbefragung beweist: Das psychiatrische Gutachten ist fehlerhaft.
- Es besteht der Verdacht, dass PMEDA für die auftraggebende Versicherung ein Gefälligkeitsgutachten erstellt hat.
- Gegen die Gutachterfirma läuft bereits ein Strafverfahren.
Genau 36 Minuten und 12 Sekunden dauerte die Befragung des Patienten. Danach war für den Psychiater klar: Der Klient ist eigentlich gesund. Im Gutachten vermerkt er, der Klient sei «zu 100 Prozent» arbeitsfähig.
Für den Psychiater der privaten Zürcher Gutachterfirma PMEDA war die Befragung eine kurze Episode eines Arbeitstags kurz vor Weihnachten 2013. Doch für den Klienten hatte sie katastrophale Folgen: Aufgrund des Gutachtens stellte die Krankentaggeldversicherung Visana drei Monate später ihre Zahlungen an ihn ein. Sie hatte den bei ihr versicherten Mann zu PMEDA geschickt, weil sie wissen wollte, ob er tatsächlich so stark psychisch erkrankt war, dass er nicht mehr arbeiten konnte.
Wegen des gleichen Gutachtens und aufgrund eigener Abklärungen verweigerte kurz nach der Taggeldversicherung auch die Invalidenversicherung IV die Rentenzahlung. Und nachdem der Mann gegen diesen Entscheid bis vor Bundesgericht geklagt – und verloren – hatte, verweigerte auch die Risikoversicherung der Pensionskasse eine Zahlung.
Medikamente unterschlagen, Tests nicht gemacht
Drei Versicherungen, keine erbringt die eigentlich versicherte Leistung. Heute lebt das vormals sehr gut bezahlte Kadermitglied einer grossen Schweizer Firma von 900 Franken pro Monat. Sein Erspartes ist aufgebraucht.
Das Gespräch mit dem psychiatrischen Gutachter hat die wirtschaftliche Existenz des Mannes, nennen wir ihn Müller, komplett zerstört. Kaum zu glauben, denn das schriftliche Gutachten, das der Psychiater aufgrund des Gesprächs verfasst hat, weist gravierende Fehler auf und ist fahrlässig abgefasst. Dies belegt ein brisantes Tondokument, das «Kassensturz» vorliegt.
Patient Müller hatte das Gespräch heimlich aufgenommen. Der Vergleich zwischen Tonaufnahme und dem schriftlichen Gutachten zeigt klar: Der PMEDA-Psychiater hat die Befragung von Müller äusserst oberflächlich und fehlerhaft dokumentiert.
So sagt Müller etwa bei der Anamnese des generellen Gesundheitszustands, er könne eigentlich nur mit Stilnox und Redormin schlafen. Im Gutachten steht: «Er schlafe aktuell meist durch.» Die beiden Medikamente erwähnt der Psychiater nicht.
Ebenfalls fehlerhaft: Der PMEDA-Psychiater erwähnt im Gutachten zwei Tests, die er mit Müller durchgeführt habe: Den «3-Begriffe-Test» und den «Subtraktionsstest». Die Tonaufnahmen beweisen aber: Der Arzt hat diese Tests gar nicht durchgeführt.
«Gutachten entspricht nicht den Qualitätskriterien»
«Gutachten sollen fair, objektiv und fundinert sein, und sie sollten nachvollziehbar sein. Praktisch in all diesen Qualitätskriterien würde ich dieses Gutachten als ungenügend betrachten», sagt Thomas Ihde-Scholl. Der Chefarzt «Psychiatrische Dienste» der Berner Oberländer Spitäler FMI arbeitet selber als Gutachter.
Er hat sich die Tonaufnahme angehört und das Gutachten gelesen. «Die Beurteilung der psychischen Gesundheit und auch von der Arbeitsfähigkeit, bei der normalerweise Gutachter zwei bis zehn Seiten brauchen, ist in zwölf Zeilen abgehandelt.» Das wichtigste, nämlich die eventuell noch mögliche Arbeitsfähigkeit, habe der Gutachter gar nicht ermittelt. «Aufgrund dessen, was ich im Gutachten lese, könnte ich die Arbeitsfähigkeit nicht beurteilen. Da hätte ich viel zu wenig Angaben.»
PMEDA bleibt dabei: «Die Begutachtung wurde sorgfältig vorgenommen»
Die Zürcher Gutachterfirma PMEDA wird vom Arzt Henning Mast geleitet. Zu den Vorwürfen schreibt er «Kassensturz», die Begutachtung sei «sorgfältig» vorgenommen worden: «Unsere gutachterlichen Feststellungen beruhen auf einer gründlichen Exploration und entsprechen den Vorgaben der Fachgesellschaften für Psychiatrie.» Zum Vorwurf, der Psychiater habe das wichtigste, die Arbeitsfähigkeit, gar nicht ermittelt, schreibt Mast: «Eine Befragung hinsichtlich der Arbeitssituation, Arbeitsbiographie und insbesondere der Selbsteinschätzung der Arbeitsfähigkeit durch den Versicherten ist ausweislich des Gutachtentextes selbstverständlich ausführlich erfolgt.»
«Falsch», sagt Müllers Anwalt Luzius Hafen: «Die Tonaufnahmen zeigen, der Gutachter hat sich einen Deut darum gekümmert, was dieser Mensch gearbeitet hat. Es hat ihn null interessiert, wie seine Arbeit konkret ausgesehen hat und ob Müller den spezifischen Belastungen des Kaderjobs noch gewachsen war.»
Zu den festgestellten Unterschieden zwischen Tonaufnahmen und schriftlichen Gutachten bezüglich Schlafproblemen und den nicht erwähnten Schlafmitteln Stilnox und Redormin schreibt Henning Mast: «Die von dem Versicherten angegebene Medikation ist im Gutachtentext dargestellt, soweit diese für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit relevant war.»
Strafuntersuchung läuft bereits in einem anderen Fall
Zu den nicht durchgeführten Tests und auch zur rekordverdächtig schnellen 36-minütigen Untersuchungszeit nimmt PMEDA keine Stellung: «Zu materiellem Inhalt oder dem Ablauf der Begutachtung äussern wir uns mit Blick auf die laufenden Strafuntersuchungen nicht.»
Tatsächlich läuft gegen den Psychiater und gegen den PMEDA-Chef Henning Mast bereits eine Strafuntersuchung. Es geht um die «fahrlässige oder vorsätzliche Erstellung eines falschen ärztlichen Zeugnisses» in einem anderen Fall. Müllers Geschichte ist kein Einzelfall. Der Verdacht: Die PMEDA erstellt Gefälligkeitsgutachten für Versicherungen, damit diese keine Renten zahlen müssen. Im Fall Müller jahrelang mit Erfolg.
Immerhin: Die IV revidierte ihre Einschätzung drei Jahre später. Dabei stellte sie auch fest, dass das PMEDA-Gutachten den vorgegebenen Qualitätsansprüchen nicht entspricht, sie zahlt Müller seit 2017 eine Teilrente von 900 Franken.
Kurz vor der «Kassensturz»-Sendung macht auch die Krankentaggeldversicherung Visana, die das Gutachten bei der PMEDA in Auftrag gegeben hat, Müller ein Angebot: Sie will die abgebrochenen Taggeld-Zahlungen im Nachhinein doch noch überweisen.
Nur die Risikoversicherung der Pensionskasse bleibt hart. Sie beruft sich auf das «höchstrichterliche rechtskräftige Urteil des Bundesgerichts». Das Bundesgericht hatte 2015 Müllers Beschwerde wegen des fehlerhaften Gutachtens abgelehnt. Nur: Die Bundesrichter hatten Müllers beweiskräftige Tonaufnahme gar nie angehört.