Die Situation heute führe dazu, dass Frauen gezwungen werden, in gewalttätigen Ehen zu bleiben, weil sie sonst das Land verlassen oder sich durch alle Instanzen klagen müssen. Dies sagt SP-Nationalrätin Samira Marti. Sie hat den Vorschlag angestossen, unterstützt von weiteren Nationalrätinnen aller Parteien aus der Staatspolitischen Kommission.
«Das führt dazu, dass viele Frauen in toxischen und gewalttätigen Beziehungen bleiben. Das darf nicht sein. Deshalb haben wir heute auch mit einem grossen Mehr dieser parlamentarischen Initiative in einer ersten Phase Folge gegeben», so Marti.
Gewalt muss bis anhin bewiesen werden
Denn kommt es aktuell zu einer Trennung, dürfen die Betroffenen – meist sind es Frauen – grundsätzlich nur im Land bleiben, wenn sie mindestens drei Jahre verheiratet waren und als integriert gelten. Ausnahmen für Opfer häuslicher Gewalt gibt es nur, wenn sie nachweisen können, dass die Gewalt gegen sie eine gewisse Intensität und Systematik aufgewiesen hat.
So fordern Opferhilfe- und Beratungsstellen schon lange eine Anpassung, bisher ohne Chance im Parlament. Bei der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) in Zürich nennt Nina Lanzi das Beispiel einer 31-jährigen Frau aus Kolumbien. Sie und ihr Schweizer Ehemann haben drei Kinder.
«Sie wird regelmässig von ihrem Mann geschlagen, verbal erniedrigt, darf nicht aus der Wohnung und keinen Deutschkurs besuchen. Ihr Mann droht ihr, dass sie ohne die Kinder nach Kolumbien zurückmuss, wenn sie sich trennt und sich gegen die Gewalt wehrt», sagt Lanzi.
Kommission fordert Umdenken
Konkret schlägt die Kommission nun ein Umdenken vor und hat das politisch breit abgestützt: Wird jemand Opfer von häuslicher Gewalt, soll das höher gewichtet werden als das Aufenthaltsrecht. Nationalrätin Marti sagt: «Wir möchten, dass in Zukunft der sogenannte Opferstatus ausreichend Beweis erbringt, um ebendiese häusliche Gewalt nachzuweisen und dann auch eine entsprechende Härtefallbewilligung zu erhalten.»
Wir möchten, dass in Zukunft der sogenannte Opferstatus ausreichend Beweis erbringt, um diese häusliche Gewalt nachzuweisen und dann auch eine entsprechende Härtefallbewilligung zu erhalten.
Gestützt auf das Opferhilfegesetz will die Kommission die bestehende Grundlage im Ausländer- und Integrationsgesetz anpassen. Somit soll die Anerkennung der häuslichen Gewalt durch eine Opferhilfe- oder Beratungsstelle ausreichen, auch ohne Strafverfahren.
Ohnehin wenden sich nur die wenigsten Gewaltbetroffenen an die Polizei. Im letzten Jahr registrierte die Polizei über 20’000 Straftaten häuslicher Gewalt – neben Drohungen, Tätlichkeiten und Körperverletzung auch Tötungsdelikte.
Da die verschiedenen Statistiken keine Aussage über Aufenthaltsstatus oder Nationalität zulassen, ist nicht klar, wie viele Menschen von einer solchen Konstellation betroffen sind. Für Nationalrätin Marti ist klar: «Jeder Fall ist natürlich einer zu viel. Das müssen wir ganz klar betonen.»
Erste Reaktionen auf den Kommissionsentscheid sind positiv, sowohl bei der Fachstelle FIZ als auch bei der Nichtregierungsorganisation Brava in Bern – früher Terre des Femmes.
Georgiana Ursprung, Verantwortliche Politik bei Brava erinnert daran, wie wichtig der Schutz vor Gewalt sei, unabhängig von Aufenthaltsrecht der betroffenen Person. «Der Staat ist in der Verantwortlichkeit oder muss eine Möglichkeit schaffen, dass gewaltbetroffene Personen aus solchen Gewaltsituationen rauskommen können und Unterstützung bekommen.»
Der politisch breit abgestützte Vorschlag geht nun an die Staatspolitische Kommission des Ständerats – mit entsprechend guten Chancen.