- Im April 2016 hat der Fall zweier muslimischer Brüder in Therwil (BL) für Schlagzeilen gesorgt: Die Jugendlichen hatten geweigert, ihrer Lehrerin die Hand zu geben.
- Für Diskussionen sorgte insbesondere das Zugeständnis der Schulleitung, dass die beiden den Lehrerinnen die Hand nicht geben müssen.
- Ein Rechtsgutachten stellte daraufhin fest: Das öffentliche Interesse ist höher zu gewichten als die Religionsfreiheit. Schüler dürfen den Handschlag mit der Lehrerin also nicht verweigern, sonst drohen Sanktionen wie Sozialeinsätze oder Bussen.
- Ein Jahr danach blickt der Integrationsexperte Thomas Kessler zurück und stellt fest: Das schweizerische System hat funktioniert.
SRF News: Was hat die Affäre von Therwil bezüglich Integration konkret bewirkt?
Thomas Kessler: Man ist sich bewusst geworden, dass in der Schweiz das Subsidiaritätsprinzip gilt: Man löst die Probleme dort, wo sie anfallen – im konkreten Fall also im Schulzimmer. Hier gelten für die Klasse klare Regeln, es gibt die Schulhausordnung, das Schulgesetz und alle übrigen Gesetze. Zudem gelten alle Gesetze der Pädagogik.
Was ist zu tun, wenn Gesetze nicht eingehalten werden?
Der Umgang mit Pubertierenden – insbesondere mit pubertierenden Buben – ist eine anthropologische Konstante, bei der jede Generation immer wieder von neuem gefordert ist. Die Pädagogen werden während Jahren dafür ausgebildet, um in diesem Zusammenhang auftretende Probleme zu lösen.
Im Fall von Therwil hat doch auch die Religion mit hineingespielt?
Es gibt viele Begründungen für ein Sonderverhalten, für Extrawürste oder den Anspruch auf einen Sonderstatus. Sie ist aber sekundär – wichtig ist die Handlung an sich.
Braucht es also keine Gesetzesänderungen?
Es braucht auf keinen Fall neue Gesetze – die bestehenden müssen bloss durchgesetzt werden.
Hat Therwil für eine Sensibilisierung in den Schulen und den muslimischen Organisationen in der Schweiz gesorgt?
Das ist so. Man hat das Problem diskutiert und erkannt. Es muss nichts Neues erfunden werden – sondern lediglich das Bestehende schätzen und durchsetzen. Es ist auch klar geworden, dass die Fragestellung und die Herausforderung keineswegs neu sind und wir ähnliches bestens aus unserer Geschichte kennen. Es geht um Sonderverhalten und Privilegien, die mit religiöser Unterlegung eingefordert werden. Die Schweiz hat angesichts der riesigen religiösen Vielfalt seit hunderten von Jahren ein sehr feines Gespür dafür, was legitim und was arrogant ist.
Welches ist für Sie die wichtigste Lehre aus der Handschlag-Affäre?
Vielfalt ist nicht neu, Regeln gelten für alle. Jene, die ein Privileg wollen, müssen dieses plausibel begründen. Wenn es beispielsweise darum geht, an einem hohen Feiertag schulfrei zu erhalten, kann dem stattgegeben werden. Wenn ein eingefordertes Privileg allerdings nicht legitim ist, dann braucht es pädagogische Massnahmen.
Das Gespräch führte Peter Maurer.