Der Schaffhauser Kantonschemiker Kurt Seiler ist alarmiert. Sein Labor hat über 300 Standorte in der Ostschweiz auf Rückstände von Chlorothanolil analysiert. Der Befund: In über 10 Prozent wurden die offiziellen Höchstwerte überschritten.
Das Mittel, das gegen Fäulnis im Getreideanbau zum Einsatz kommt, kann laut einer Studie der Europäischen Union Krebs erregen. Deshalb hat es die EU im April verboten. Im Herbst will die Schweiz folgen, wie Wirtschaftsminister Guy Parmelin versprochen hat.
Bundesamt für Landwirtschaft zu wenig transparent
Ein solches Verbot will auch Seiler. Allerdings müsse man viel früher ansetzen: «Wenn ein solcher Stoff an mehreren Orten nachgewiesen werden kann, läuft bereits bei der Zulassung etwas schief», kritisiert der Fachmann und verlangt vom Bund, dass künftig eine unabhängige Stelle die Zulassung für Pestizide erteilt.
Wenn ein solcher Stoff an mehreren Orten nachgewiesen werden kann, läuft bereits bei der Zulassung etwas schief.
Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) als alleinige Zulassungsbehörde sei zu wenig transparent und stehe in einem Interessenskonflikt: «Aufgrund der Situation muss man zum Schluss kommen, dass die landwirtschaftlichen Aspekte höher gewichtet werden als die Trinkwasserqualität und der Umweltschutz.»
Auch Umweltorganisationen wie Greenpeace, WWF oder Pro Natura üben harsche Kritik. Marcel Liner, Landwirtschaftsexperte bei Pro Natura etwa, fordert mehr Transparenz: «Die Daten- und Entscheidungsgrundlagen, weshalb ein Mittel zugelassen wird, müssen offengelegt werden». Seien Pestizide einmal im Einsatz, verursachten sie Probleme. Dann sei es zu spät. Das BLW sei nicht unabhängig genug.
Kantonslabore übergangen
SRF weiss, dass nun verschiedene Bundesämter das Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel extern überprüfen lassen. Den Auftrag dazu hat das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG. Dabei sollen alle Beteiligten, unter anderem Kantonschemiker und Umweltverbände, angehört werden. SRF liegen die Fragen, die im Evaluationsprozess gestellt werden, vor. Pikant: Darin ist auch von einer neuen, «amtsunabhängigen Stelle für Zulassungsentscheide» die Rede.
Kantonschemiker Seiler erhofft sich von der externen Evaluation, dass künftig die Zulassungskriterien strenger werden, «damit wir im Trinkwasser und den Fliessgewässern keine Rückstände mehr finden». Bisher habe der Bund die kantonalen Labore nicht ins Zulassungsprozedere einbezogen. «Auch nachträglich haben wir keinen Einblick in die Dossiers. Wir fischen immer noch im Trüben. Wenn wir im Labor Trinkwasserproben untersuchen, wissen wir nicht genau, welche Stoffe kritisch sein könnten.»
Das BLW verteidigt das Zulassungsverfahren. Neue Erkenntnisse würden einfliessen und Pflanzenschutzmittel sowie Wirkstoffe regelmässig überprüft, so Vizedirektorin Gabriele Schachermayr. Zur Evaluation wollte sich das Amt aber nicht äussern. Stattdessen äusserte sich das Bundesamt für Umwelt (Bafu): «Die Evaluation soll die Grundlagen schaffen für die Optimierung der Zulassung.» Damit komme (man) dem Wunsch nach verstärkter Transparenz in der sensiblen Thematik des Pflanzenschutzmitteleinsatzes entgegen.
Für den Schaffhauser Kantonschemiker Kurt Seiler muss dieser Schritt eine späte Genugtuung sein. Er hatte bereits vor mehreren Jahren eine solche Untersuchung gefordert.