Diesen Tag werden Micha Finkelstein und Nick Hintermann nicht mehr vergessen. Das Paar ist nach der Gay Pride in Zürich zusammen mit einer Freundin auf dem Nachhauseweg, als sie kurz vor ihrer Wohnungstür von drei jungen Männern aus dem Nichts angepöbelt werden. Beide Männer werden wegen ihrer Sexualität beleidigt und mit Faustschlägen attackiert.
Das war im Sommer vor zwei Jahren. Die körperlichen Schmerzen sind mittlerweile verschwunden, die seelischen jedoch nicht. Mittlerweile wurde einer der mutmasslichen Täter gefasst. Er wird in diesen Tagen bei den Behörden einvernommen, bestreitet aber nach wie vor die Tat.
Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind Opfer, nicht Täter
Micha und Nick stehen mit vollem Namen und Bildern hin, sie haben den Angriff auf Facebook öffentlich gemacht. Und erhalten dadurch viel Zustimmung. Sie wollten sich nicht verstecken, sagt Nick, schliesslich seien sie nicht Täter. Sie würden hin stehen und sagen: «Wir sind Opfer von Hate Crime».
20 Gewaltdelikte gegenüber Schwulen und Lesben in Zürich seit Anfang Jahr
Was die beiden heute 31-jährigen Männer erleben mussten, ist kein Einzelfall. Gerade in der Stadt Zürich ist es in den letzten Monaten und Jahren immer wieder zu Übergriffen auf Homosexuelle gekommen. Vielfach geschehen diese Attacken mitten in der Stadt Zürich, meistens im Ausgang, mitunter aber auch am helllichten Tag.
Verlässliche Zahlen gibt es dazu kaum. Erst seit diesem Jahr erfasst die Stadtpolizei Zürich als eine der wenigen Korps sogenannte Hate Crime, also Hassverbrechen. Insgesamt 60 solche Hass-Attacken wurden polizeilich protokolliert, davon war jeder dritte homophob motiviert.
Junge sind homophober als Erwachsene
Dass Hass auf Schwule und Lesben in der Gesellschaft immer noch verbreitet ist, zeigt eine umfassende Studie aus dem letzten Jahr. Darin wurde eine Befragung aus dem Jahr 2018 ausgewertet, welche aufzeigt, dass jeder zehnte Erwachsene Homosexualität als unmoralisch bezeichnet.
Bei den 17- und 18-Jährigen ist die Homophobie deutlich stärker verbreitet. So zeigt eine ähnliche Umfrage aus dem Jahr 2017, dass jeder Vierte es ekelhaft findet, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen.
Studienresultate
Kein Stadt-Land aber ein Migrationsgraben
Bei der Studie wurden 8317 Schüler aus zehn Kantonen befragt. Das Ergebnis: Jugendliche auf dem Land sind nicht homophober als solche in den Städten, hingegen sind Jugendliche mit bestimmtem Migrationshintergrund meist deutlich homophober (siehe Tabelle). Vor allem junge Männer mit muslimischen Wurzeln im Balkan haben Mühe mit Homosexualität.
Dirk Baier ist Professor für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW. Er ist Mitautor dieser Studie und warnt vor einer Tabuisierung dieser Fakten. Gerade für diese Attacken auf Homosexuelle seien vielfach jugendliche Gruppen mit Migrationshintergrund verantwortlich. Diesem Phänomen müsse man mit Prävention begegnen.
Schweizer Lehrplan setzt auf Toleranz und Diversity
Wenn homophobe Tendenzen in den Schulen sichtbar würden, müsse man handeln, fordert Baier. Und das tun die Schulen auch, zumindest auf dem Papier. Der Lehrplan 21 hält fest, dass Schülerinnen und Schüler auf dieses Thema sensibilisiert werden. Toleranz soll gelebt werden. So heisst es darin beispielsweise:
Die Schülerinnen und Schüler verbinden Sexualität mit Partnerschaft, Liebe. Respekt, Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung und können sexuelle Orientierungen nicht diskriminierend benennen.
Die Umsetzung ist dann aber Sache der Lehrpersonen. Wie stark Toleranz und Diversity im Unterricht thematisiert werden, ist also personenabhängig.
Pink Cross fordert schweizweite Erfassung von Hate Crime
Auch beim Schwulendachverband Pink Cross macht man sich Sorgen über die regelmässigen Attacken gegen Schwule und Lesben. Die «Ehe für alle» sowie die Ausweitung des Anti-Rassismus-Strafartikels seien zwar wichtige Meilensteine für die LBGTQ-Community, sagt Pink-Cross-Geschäftsführer Roman Heggli. Aber es reiche noch nicht. Die Politik dürfe deswegen nicht die Hände in den Schoss legen. Deshalb fordert Heggli, dass Hate-Crime-Vorfälle schweizweit erfasst werden. Nur so erhalte man verlässliche Zahlen, um daraus die nötigen Massnahmen einzuleiten.
Pink Cross ist selbst aktiv geworden. Bereits seit fünf Jahren führt die Organisation eine Helpline, bei der Opfer von homophober Gewalt anrufen können. Im letzten Jahr wurden 61 derartige Fälle gemeldet. Vor allem im Abstimmungskampf zur «Ehe für alle» ist es laut Heggli wieder vermehrt zu Übergriffen auf Homosexuelle gekommen. Dies zeigten die neusten Zahlen der Helpline. Deshalb hat Pink Cross zum ersten Mal einen Selbstverteidigungskurs für queere Personen organisiert.
«Nicht wir müssen uns anpassen, sondern die Täter»
Micha und Nick denken nicht daran, einen derartigen Kurs zu besuchen, auch wenn sich das Paar nicht mehr gleich unbeschwert im öffentlichen Raum bewegt wie vor der Attacke. Trotzdem sagt Nick, er fühle sich eigentlich wieder sicher, vor allem aber wolle er auch nicht immer Angst haben. «Nicht wir müssen lernen zu kämpfen und kampfbereit sein, sondern die intoleranten Menschen sollen tolerant werden», so Nick. Sie wollen sich nicht ändern. Sie wollen, dass es die Gesellschaft tut.
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