Es ist laut im Dorfzentrum von Buttisholz. Die Hauptstrasse, die verschiedene grössere Ortschaften im Luzerner Hinterland miteinander verbindet, geht mitten durch. Praktisch im Minutentakt donnern Lastwagen vorbei. Ansonsten fällt hier vor allem der grosse Parkplatz auf. Menschen sieht man nur wenige.
«Es wirkt wie ein Durchgangsort», sagt Marina Fahrenbach, «man fährt vorbei und nimmt nur wenig wahr.» Die Frau mit dem schwäbischen Dialekt steht auf dem Parkplatz im Dorfzentrum von Buttisholz. Sie will zeigen, wie sie das Leben hierhin zurückholen will.
Altes Bauernhaus als Hoffnung
Mit dabei ist René Ziswiler, der mit ihr dieses Projekt anpacken will. Ziswiler lebt seit seiner Geburt in Buttisholz, Fahrenbach wohnt im Nachbardorf und ist zugezogen. «Dann wollen wir mal», sagt Ziswiler. Die beiden verlassen den Parkplatz und steuern auf einen alten Bauernhof zu. Hier stehen nebeneinander – mitten im Dorfzentrum und doch irgendwie unauffällig – ein Bauernhaus, ein Spycher, ein Schweinestall und eine Scheune.
Diesen Bauernhof wollen Marina Fahrenbach, René Ziswiler und zwei weitere Kolleginnen renovieren und zu einem neuen Dorfzentrum umbauen. «Gass 1911» nennen sie das Projekt, benannt nach dem Namen und Baujahr des Hofes. Fahrenbach zeigt auf das Bauernhaus. «Das bauen wir zu einem Bed and Breakfast um. Oben kommt eine Wohnung rein und unten sechs bis sieben Zimmer für das BnB.»
Mit etwas Fantasie kann man sich diese Pension tatsächlich vorstellen. Auf dem Vorplatz des Hauses steht eine mächtige Linde, deren schattenspendenden Äste an heissen Sommertagen sicher zum Verweilen einladen. Dann kommt die Vorstellungskraft aber schon ins Stocken. Das Bauernhaus ist sichtlich in die Jahre gekommen und auch die anderen Gebäude rundherum machen einen verlotterten Eindruck.
Knapp vier Millionen Franken
Entsprechend viel Geld kostet die Renovation. «Wir rechnen mit rund 3.8 Millionen Franken. Finanziert werden soll es durch Stiftungen und Gönner.» Sie hätten bereits einige vielversprechende Gespräche geführt, doch noch fehlt das Geld. René Ziswiler weiss, dass sie mit der Neugestaltung des Dorfzentrums ein Grossprojekt lanciert haben. Bis jetzt arbeiten sie komplett ehrenamtlich dafür. Der Aufwand lohne sich aber allemal.
Die Einwohnerinnen und Einwohner von Buttisholz wissen, wie es ist, wenn das Leben aus dem Dorfzentrum verschwindet. Die Dorfbeiz «Hirschen» hat ihren Betrieb erst vor zwei Monaten wieder aufgenommen. Davor war sie sieben Jahre lang geschlossen. «Es brannte kein Licht und es kamen keine Leute. Sogar mitten im Sommer blieb der Platz leer. Das war deprimierend», erinnert sich Ziswiler.
Phänomen Schlafdörfer
Mit dieser Erfahrung sind die Buttisholzer nicht alleine. Dörfer in der ganzen Schweiz haben damit zu kämpfen, dass das gesellschaftliche Leben verschwindet. Der Dorfladen schliesst, die Beiz macht dicht und die Vereine verlieren Mitglieder. Die Ortschaften werden zu Schlafdörfern.
Bea Durrer leitet an der Hochschule Luzern das Kompetenzzentrum Regional- und Stadtentwicklung am Institut für soziokulturelle Entwicklung. Sie befasst sich mit dem Zusammenleben in ländlichen Gemeinden und weiss, wie ein Dorf zum Schlafdorf werden kann. «Schuld sind in erster Linie grössere gesellschaftliche Entwicklungen. Die Menschen arbeiten nicht mehr dort, wo sie wohnen und kommen oft nur noch zum Schlafen nach Hause.»
Dies bestätigt auch ein Blick auf die Statistik. Im Jahr 1990 arbeiteten noch 44 Prozent der Erwerbstätigen an ihrem Wohnort, 2017 waren es noch 31 Prozent. Viele Gemeinden hätten es verpasst, auf diesen Trend zu reagieren, meint Durrer. «Man nahm das gesellschaftliche Leben als etwas hin, das einfach passiert und womit eine Behörde nur wenig zu tun hat. Doch heute muss sich eine Gemeinde aktiv um das Zusammenleben bemühen.»
Dorfzentrum beinahe überbaut
Vielerorts habe man sogar Dinge getan, die eine gegenteilige Wirkung hatten. «Etwa, wenn ausserhalb des Dorfes ein Einkaufszentrum gebaut wurde. So ein Bau verändert das Freizeit- und Konsumverhalten der Bevölkerung. Als Folge davon können Gaststätten, Restaurants und Läden im Dorf eingehen.»
Auch in Buttisholz war man nahe dran, einen Entscheid zu treffen, der einen ähnlich negativen Effekt auf das Dorfleben hätte haben können. Dies erzählt Gemeindepräsident Franz Zemp. Sein Büro im Gemeindehaus ist tapeziert mit Karten und Plänen von Buttisholz. Er zeigt auf einem dieser Pläne auf das alte Bauernhaus, das zum neuen Dorfzentrum werden soll.
«Diese Parzelle gehört der Gemeinde. Wir gingen lange davon aus, dass wir die Scheune abreissen und eine Überbauung mit Wohn- und Büroflächen hinstellen würden. Im Zonenplan war dies bereits so vorgesehen.» Dann habe man jedoch bei der Bevölkerung nachgefragt, was sie sich für Buttisholz eigentlich wünscht. «Vielen fehlt offensichtlich das gesellschaftliche Leben im Dorfzentrum.»
Sanfte Renovation statt Abriss
Vor dem Hintergrund dieser Befragung fiel die Idee von René Ziswiler, Marina Fahrenbach und ihren Kolleginnen auf fruchtbaren Boden. Sie konnten die Buttisholzer von ihrem Projekt überzeugen. Die Gemeinde überlässt ihnen die Parzelle nun im Baurecht für die nächsten 30 Jahre.
Ich stelle mir einen warmen Sommerabend vor: Mein Nachbar kommt vorbei, steht auf die Wiese, packt sein Alphorn aus und fängt an zu spielen.
Marina Fahrenbach ist überzeugt, dass sie mit «Gass 1911» die richtige Strategie verfolgen. «Orte wie Buttisholz verlieren den Charme, wenn man einfach das ganze Zentrum zubaut und alte Gebäude abreisst.» Statt abzureissen, wollen sie die Gebäude sanft renovieren. Neben dem Bauernhaus betrifft dies auch die Scheune.
Die Scheune und die unbebaute Wiese hinter ihr sollen das Herzstück des neuen Dorfzentrums werden. «Hier unten kommt ein Café mit Gartenwirtschaft rein. Die Wiese soll allen zugänglich sein, Konsumpflicht gibt es keine», sagt Ziswiler und kommt ins Schwärmen. «Ich stelle mir einen warmen Sommerabend vor: Mein Nachbar kommt vorbei, steht auf die Wiese, packt sein Alphorn aus und fängt an zu spielen. Das Jodelchörli, das heute spontan entschieden hat, draussen zu proben, stimmt mit ein.»
Umbau bis 2023
Momentan sieht die Scheune alles andere als einladend aus. Überall liegt Heu, durch die undichten Wände zieht es rein und im schummrigen Licht sieht man kaum etwas. Wenn es nach den ambitionierten Plänen des Projektteams geht, soll dies bereits im Jahr 2023 ganz anders aussehen. Schon im Sommer 2021 wollen sie mit dem Umbau der ersten Gebäude beginnen und knappe zwei Jahre später soll das meiste renoviert und bezugsbereit sein.
Ob das Leben dann tatsächlich ins Dorfzentrum zurückkehrt, könne man nicht zu hundert Prozent wissen, gibt René Ziswiler zu. «Es liegt in der Natur der Sache, dass Neues immer Risiken birgt. Vertrauen können wir alleine auf unsere Überzeugung und unsere Erfahrung.» Diese sei vorhanden im Projektteam – sei es bezüglich Marketing, Gastronomie oder Event-Organisation.
Buttisholz als Vorbild
Für den Erfolg des Projekts spricht auch das Urteil der Expertin. «Das Dorf scheint bei seiner Ortsentwicklung vorbildlich zu handeln», sagt Bea Durrer von der Hochschule Luzern. Verschiedene Tipps, die sie für die Wiederbelebung eines Dorfzentrums hat, schien man in Buttisholz intuitiv berücksichtigt zu haben.
Ganz grundsätzlich habe die Gemeinde gut vorausgedacht, indem sie sich die Grundstücke im Dorfzentrum gesichert hat. «Wenn sich eine solche Gelegenheit bietet, sollte eine Gemeinde diese unbedingt packen. So kann sie Einfluss auf die Entwicklung nehmen und diese mitgestalten.»
Es ist wichtig, dass nicht nur Alteingesessene sagen, wo es lang gehen soll.
Ausserdem sei es bei der Ortsentwicklung wichtig, dass die Bedürfnisse der Bevölkerung abgeholt würden. Auch das hat Buttisholz mit seiner Befragung getan. «Schliesslich ist es auch wichtig, dass ein Projektteam für die Zentrumsgestaltung nicht nur aus Alteingesessenen besteht. Sonst fühlen sich Neuzuzüger und jüngere Bewohnerinnen eventuell gar nicht angesprochen.» Mit der Schwäbin Marina Fahrenbach denkt bei «Gass 1911» tatsächlich auch eine Zugezogene mit.
Buttisholz scheint also viele Bedingungen zu erfüllen, um in drei Jahren wieder ein lebendiges Dorfzentrum zu haben. Vorausgesetzt natürlich, das Projekt «Gass 1911» kommt zustande.