Nach Ablauf der 30-jährigen Sperrfrist sind jetzt Bundesratsdokumente aus dem Jahr 1994 öffentlich einsehbar. Es war ein Jahr, in dem die Schweiz aussen- und europapolitisch in einer schwierigen Situation steckte.
Schweizer Aussenpolitik in der Sackgasse
Wenn man die Dokumente liest, klingen verschiedene Themen überraschend aktuell. Syriens Machthaber Hafez al-Assad sprach mit US-Präsident Bill Clinton an einem schlussendlich erfolglosen Gipfeltreffen in Genf über Frieden im Nahen Osten. PLO-Chef Yassir Arafat diskutierte in Bern mit Vertretern des Bundesrates über Hilfe für die Palästinensergebiete.
Die massive Bedeutung der Europa-Frage stand sicherlich im Zentrum. Wenn man die Dokumente liest, ist es verblüffend, wie ähnlich die heutigen Diskussionen noch verlaufen.
Die Schweiz verhandelte mit der EU über bilaterale Verträge – ein Abschluss war aber noch nicht in Sicht. «Die massive Bedeutung der Europa-Frage stand sicherlich im Zentrum. Wenn man die Dokumente liest, ist es verblüffend, wie ähnlich die heutigen Diskussionen noch verlaufen», sagt Sacha Zala, Geschichts-Professor an der Universität Bern und Leiter der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz.
Schwierige Abstimmungsergebnisse
Die Verhandlungen mit der EU waren ohnehin in einer schwierigen Phase – und Abstimmungsergebnisse in der Schweiz erschwerten die Verhandlungen noch weiter. So wurde am 20. Februar 1994 die Alpen-Initiative angenommen, die die Verlagerung des Transit-Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene verlangte.
Der Bundesrat hatte vergeblich vor der Initiative gewarnt. Ein Auftritt des damaligen Verkehrsministers Adolf Ogi, der in der Fernsehsendung «Arena» den Vertretern des verkehrsgeplagten Kantons Uri Vorwürfe machte, dürfte eher kontraproduktiv gewesen sein.
Die EU reagierte pikiert auf das Ja. Das zeigte sich auch im Frühling 1994 beim Besuch von EU-Kommissar Hans van den Broek in der Schweiz. Allerdings stellte der Bundesrat im Herbst einen europakompatiblen Vorschlag für die Umsetzung der Initiative vor. Die Situation entspannte sich.
Vertrauenskrise und doch noch ein Erfolg
1994 gab es an der Urne noch weitere schmerzhafte Niederlagen für den Bundesrat. Am 12. Juni wurden gleich drei bundesrätliche Vorlagen versenkt: Nein zum Einsatz von Schweizer Blauhelm-Soldaten, Nein zur erleichterten Einbürgerung von jungen Ausländerinnen und Ausländern, Nein zum Kulturförderungsartikel. Der Bundesrat erkannte selber, dass es eine Vertrauenskrise gab – und thematisierte dies auch an einer internen Aussprache.
Immerhin konnte der Bundesrat im Herbst 1994 noch einen wichtigen Erfolg an der Urne verbuchen. Nach einem teils hitzig geführten Abstimmungskampf fand das Anti-Rassismus-Gesetz in der Volksabstimmung eine Mehrheit: Über 54 Prozent der Bevölkerung stimmte mit Ja.
Dazu beigetragen hatte ein diesmal geglückter bundesrätlicher «Arena»-Auftritt. Otto Stich kämpfte in der Sendung beherzt für das Anti-Rassismus-Gesetz.
Aussenpolitik ist Innenpolitik
Aus dem schwierigen Jahr 1994 hatte der Bundesrat auch seine Lehren gezogen. Aussen- und Europapolitik im stillen Kämmerlein zu betreiben und nur im Kreise von Experten zu erläutern – das funktionierte definitiv nicht mehr. «1994 ist das Jahr, in dem sich die Verzahnung von Innenpolitik und Aussenpolitik bislang am deutlichsten gezeigt hat», hält Sacha Zala fest.
Ein Weiterkommen in der Aussen- und Europapolitik ist nur möglich, wenn Ideen und Vorgehen innenpolitisch abgestützt sind. Das ist die zentrale Erkenntnis von 1994. Eine Erkenntnis, die heute noch gilt.