Worum geht es? Der Verein «Klimaseniorinnen» hat einen Sieg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erzielt. Die Strassburger Richterinnen und Richter gingen auf die Klage ein, dass die Schweiz im Kampf gegen den Klimawandel zu wenig unternehme. Das Urteil: Der mangelnde Klimaschutz der Schweiz habe die klagenden Seniorinnen in ihren Menschenrechten verletzt. Die Frauen seien in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben und in ihrem Recht auf ein faires Verfahren berührt worden. Zudem habe die Schweiz keine ausreichenden und überzeugenden Argumente dargelegt, warum sie auf die Beschwerde des Vereins nicht habe eintreten wollen.
Auch vier Einzelklägerinnen haben den Bund angeklagt. Deren Beschwerde wurde aber vom EGMR nicht zugelassen. Der Grund: Einzelpersonen müssen ihren sogenannten Opferstatus in Bezug auf die Untätigkeit eines Staates konkret aufzeigen.
Warum ist dieses Urteil bedeutsam? Das Urteil des EGMR ist historisch: «Mit diesem Urteil eröffnet das Gericht für Klimaschützer weit über die Schweiz hinaus die Möglichkeit, den Rechtsweg zu wählen, wenn auf politischem Weg keine griffigen Klimamassnahmen durchsetzbar sind», sagt Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent von SRF. Das Vorgehen der Schweizer Klimaseniorinnen dürfte wegweisend sein und Folgen in sämtlichen 46 Mitgliedsländern des Europarates haben.
Wer sind die Klimaseniorinnen? Der Verein «Klimaseniorinnen» besteht aus über 2500 Pensionärinnen. Gegründet wurde er 2016 – damals noch mit 150 Frauen. Seitdem setzen sie sich in der Schweiz aktiv für den Klimaschutz ein. Die Initiative für die Klage gegen den Bund ging jedoch von Greenpeace aus. Die Nichtregierungsorganisation war nach einem ähnlichen Fall in den Niederlanden überzeugt, dass staatliche Klimapolitik Grundrechte verletzen kann, und suchte mögliche Geschädigte in der Schweiz. Es handelt sich um eine strategische Prozessführung, was für Aktivistinnen und Aktivisten durchaus übliche ist.
Was wollen die Klimaseniorinnen? Die Klimaseniorinnen sagen, der Bund verletze ihre Menschenrechte. Mit der eingeschlagenen Klimapolitik verpasse die Schweiz die Klimaziele, auf die sie sich im Rahmen des Pariser Klimaabkommens verpflichtet hat. Daher tue die Schweiz zu wenig, um eine Gefährdung der Gesundheit der Klimaseniorinnen möglichst zu verhindern. Weil ältere Frauen als Folge häufigerer und intensiverer Hitzeperioden vermehrt krank würden oder stürben, betreffe sie die Klimapolitik der Schweiz also direkt.
Was bedeutet das Urteil für die Schweiz? Das Urteil müsse nun von der Schweizer Regierung direkt umgesetzt werden, so Gsteiger. Denn höchstinstanzliche Urteile des EGMR seien verbindlich. Das Ministerkomitee des Europarats werde darüber wachen. Wie die Schweiz ihre Ziele zu erreichen hat, liess der Gerichtshof für Menschenrechte offen.
Einfach wird es für die Schweiz aber nicht. Ihre offiziellen Vertreter bei der Urteilsverkündung hüten sich, die EGMR-Entscheidung zu kritisieren. Man respektiere sie und werde nun analysieren, wo die Schweiz nachbessern müsse. Doch die Umsetzung werde schwierig sein, sagt Gsteiger. Da in manchen Bereichen die Regierung und die Behörden nicht autonom entscheiden könnten, sondern die Unterstützung des Parlaments und des Stimmvolkes brauchen.