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Hochwasserschutz «Der Klimawandel muss bereits heute berücksichtigt werden»

Hochwasser können in der Schweiz in Zukunft deutlich stärkere Schäden verursachen. Mit den in der Folge der Klimaerwärmung zunehmenden Starkniederschlägen steigen Schäden stark an, wie Berechnungen mit einem neuen Tool der Universität Bern ergeben. Schon bei geringen Zunahmen der Wassermenge steigen die Schäden sprunghaft an. Andreas Zischg, Professor am Geografischen Institut der Universität Bern, über die Wichtigkeit des Simulators für besseren Hochwasserschutz.

Andreas Zischg

Geograf

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Andreas Zischg ist Professor für Modellierung von Mensch- und Umweltsystemen an der Universität Bern. Er beschäftigt sich mit Hochwassergefahren und den Folgen von Extremereignissen.

SRF News: Weshalb wurde der Hochwassersimulator entwickelt?

Andreas Zischg: Das Tool heisst Risikosensitivität. Es geht um das Hochwasserrisiko und wie sich dieses in Zukunft ändern wird. Wir haben das Tool entwickelt, weil wir wissen wollten, welcher Fluss wie stark auf den Klimawandel reagieren wird.

Flüsse wie die Emme reagieren stark auf mehr Abfluss.

Nehmen wir als Beispiel die Aare in Bern: Was konnten Sie dort beobachten?

Das Tool zeigt das Verhältnis des Hochwassers mit den Auswirkungen des Hochwassers. Je grösser das Hochwasserereignis wird, je mehr Wasser in den Fluss fliesst, desto höher werden die Auswirkungen. Wir haben mit Erstaunen festgestellt, dass die Auswirkungen sehr unterschiedlich sind. Bei der Aare in Bern beispielsweise fliesst das Wasser bei Hochwasser sofort in die Stadt, die Schäden steigen mit dem Anstieg des Wassers stark an, aber irgendwann ist Schluss.

Fluss mit überfluteter Wehranlage und umliegender Landschaft an einem bewölkten Tag.
Legende: Ein Blick ins Berner Mattequartier Mitte Dezember 2023, als die Aare Hochwasser führte. Keystone/PETER SCHNEIDER/Archiv

Die Aare in Bern hat rechts und links die Hänge, im Mattequartier kann die Aare nicht überfluten. Daneben gibt es aber andere Flüsse, beispielsweise die Emme in Burgdorf und Kirchberg. Wenn das Wasser dort über die Ufer tritt, kann es sich weit in der Fläche ausdehnen. Solche Flüsse reagieren stark auf mehr Abfluss.

Wie können Experten diese Daten konkret anwenden?

Was wir zunehmend in Betracht ziehen, ist, dass die Hochwasserschutzbauten, die wir heute planen und umsetzen, eine Lebensdauer von 60 bis 80 Jahren haben. Am Ende des Jahrhunderts werden wir sehr wahrscheinlich ein wärmeres Klima haben. Ein wärmeres Klima hat möglicherweise einen höheren Wassergehalt in der Atmosphäre zur Folge, und damit können die Regenereignisse stärker werden. Wir müssen bei Planungen bereits heute den Klimawandel berücksichtigen. Das Tool wurde entwickelt, damit die Experten auf einen Blick sehen können, wenn eine Planung eines Hochwasserschutzprojektes beginnt, ob der Klimawandel bei diesem Fluss eine grosse Auswirkung hat.

Arbeiter in orangen Westen säubern nach einer Überschwemmung Waldgebiet vor einem Gebäude.
Legende: Einsatzkräfte des Zivilschutzes räumen im Juli 2022 nach der Überschwemmung der Emme beim Hotel Landgasthof Kemmeriboden-Bad auf. Keystone/ANTHONY ANEX/Archiv

Welchen Mehrwert liefert der Hochwassersimulator den Behörden beim Hochwasserschutz?

Das Tool betrachtet ganze Flussabschnitte, also längere Flussabschnitte über mehrere Gemeinden hinweg, sowohl die rechte als auch die linke Talseite. Über den ganzen Flussabschnitt bezogen kann das Tool zeigen, wo die Schwachstellen sind, wo das Wasser als Erstes über die Ufer treten wird und welche Flüsse bei zunehmenden Hochwasserereignissen stark reagieren. Die Behörden können anschliessend eine Prioritätensetzung machen, beispielsweise die wichtigsten Flüsse identifizieren, bei denen die Auswirkungen des Klimawandels im Detail untersucht werden können.

Das Gespräch führte Nicoletta Gueorguiev.

Heute Morgen, 7.6.2024, 07:11 Uhr ; 

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