Impfen für Jugendliche und an Schulen – wie sinnvoll oder nötig ist das aufgrund aktueller Erkenntnisse aus epidemiologischer und medizinischer Sicht? Milo Puhan, Epidemiologe an der Universität Zürich, klärt auf.
SRF News: Der Bund und jetzt sogar Schulen legen Jugendlichen die Impfung nahe. Macht das angesichts der Krankheitsgefahr für den einzelnen Jugendlichen überhaupt Sinn?
Milo Puhan: Es ist natürlich ein Abwägen für den Einzelnen. Es gibt die Motivation sich selber oder auch noch die Gesellschaft, die Familie und Angehörige zu schützen. Diese Balance muss bei Jugendlichen ausgeprägter sein, einfach weil sie weniger betroffen sind. Jeder muss das Individuelle und das Gemeinschaftliche für sich beurteilen und ich kann nur hoffen, dass viele sich für die Impfung entscheiden.
Ich kann nur hoffen, dass viele sich für die Impfung entscheiden.
Anders gefragt: Wird die Impfung für 12- bis 19-Jährige nicht eher einfach deshalb empfohlen, weil man dann die Epidemie besser für alle eindämmen kann?
Das ist sicher ein Teil, dieser Schutz der Bevölkerung. Aber man darf nicht vergessen, dass es auch bei Jungen ab und zu schwere Verläufe gibt und dass – bei einem tiefen Prozentsatz zwar nur – ein Long Covid auftreten kann. Es geht also nicht nur um den Beitrag zum Schutz der Bevölkerung.
Würden mehr jugendliche Geimpfte die Ansteckungsmöglichkeiten in den Schulen stark senken oder spielt das kaum eine Rolle?
Es spielt sicher eine Rolle. Die Frage ist einfach, wie viele Jugendliche sich impfen lassen. Je mehr, desto wirksamer ist diese zusätzliche Schutzmassnahme. Es ist also ein wichtiges Element zum Schutz rund um die Schulen.
Viele Schulen schreiben die Maske für SchülerInnen nicht mehr vor. Als Epidemiologe finden Sie das wahrscheinlich falsch?
Ja, angesichts der Zahlen würde ich es befürworten, wenn wir mit den Bedingungen von vor den Sommerferien weiterfahren würden. Die Nebenwirkungen einer Maske sind ja wirklich überschaubar. Aus epidemiologischer Sicht würde es Sinn machen, dass die Kinder ab der 3. oder 4. Klasse Maske tragen.
Aus epidemiologischer Sicht würde es Sinn machen, dass die Kinder ab der 3. oder 4. Klasse Maske tragen.
Beim Testen sind etliche Kantone eher lasch und verzichten auf wiederholtes Testen in Schulen. Man wolle zuerst schauen, wie sich die Situation nach den Ferien entwickle. Pragmatisch oder fahrlässig?
Die Forschung sagt nicht ganz klar, dass das regelmässige, repetitive Testen besser ist als ein sofortiger, grosser Test bei einem Ausbruch. Es spielen ganz viele Faktoren mit, auch die Grösse der Schule zum Beispiel. Wichtig ist, dass man ein klares Konzept hat und man bereit ist zum Testen. Entweder repetitiv oder beim Ausbruch von Corona – eines von beidem muss man durchführen.
Die Delta-Variante könnte Jugendliche stärker gefährden – das legen die steigenden Infektionszahlen bei 10- bis 19-Jährigen nahe. Aber stimmt das wirklich? Gibt es dazu Studien?
Ich glaube, es ist noch zu wenig bekannt, um über den Verlauf der Krankheit viel sagen zu können. Ob Delta tatsächlich häufiger zu schweren Verläufen führt, ist noch unklar. Da ist die Datenlage noch nicht ganz so klar; auch, ob es Auswirkungen hat auf Long Covid.
In den Spitälern ist nicht einmal ein Covid-Patient auf 100'000 Einwohner zu verzeichnen, der zwischen 10 und 19 Jahre alt ist. Immer noch sind über 50 Prozent der hospitalisierten Covid-PatientInnen über 51 Jahre alt. Darf man sagen, dass auch Delta-Covid bei 10- bis 19-Jährigen nach wie vor sehr milde verläuft?
Es ist zu erwarten, dass es bei den meisten einen milden Verlauf gibt. Aber es ist noch zu früh, das zu beurteilen, denn die Hospitalisationen hinken ja den Infektionszahlen hinterher. Für eine gute Beurteilung braucht es noch einige Wochen.
Das Gespäch führten Michael Perricone und Mirjam Weidmann.