Tanja Stadler ist das neue Gesicht der Wissenschaft, wenn es um Corona-Fragen geht: Heute stand die neue Präsidentin der Task Force des Bundes erstmals in ihrer neuen Funktion auf dem Podium. Die neue Präsidentin erläutert im Interview, wie die Impfbereitschaft erhöht werden kann und wie Kinder künftig an Schulen geschützt werden können.
Das BAG hat heute die neuen Zahlen publiziert: 3150 Neu-Infektionen an einem Tag. Das ist die höchste Zahl im ganzen Jahr 2021. Was heisst das für Sie?
Dass wir, obwohl wir in der Normalisierungsphase sind, in einer sehr schwierigen Situation sind. Wir haben es durch das Impfen zwar geschafft, dass weniger Personen ins Spital kommen, weil viele durch die Impfung geschützt sind, aber es sind immer noch sehr viele Menschen nicht geimpft. Und wenn wir uns die Hospitalisierungszahlen anschauen: Wir hatten im letzten Monat dreimal eine Verdoppelung der Spitaleintritte, es hat sich also verachtfacht.
Aber auf einem sehr tiefen Niveau.
Wir sind tief gestartet, aber jetzt sind wir bei einer 7-Tages-Inzidenz von knapp 30 Hospitalisierungen. Und wenn sich das im kommenden Monat nochmals dreimal verdoppelt, dann sind wir bei einem Niveau wie zu den schlimmsten Zeiten der zweiten Welle. Und damals hatten wir doch eine sehr starke Beanspruchung der Spitäler.
Sie gehen also klar davon aus, dass es eine vierte Welle gibt, und zwar eine heftige vierte Welle?
Das Problem ist jetzt: Wir haben eine Dynamik, die schnell wächst, je nach Woche 50 Prozent Wachstum der Epidemie, und die Frage ist: Verlangsamt sich das? Wir haben jetzt die Reiserückkehrer, den Schulstart, bald kommt der Herbst: Wenn wir uns an letztes Jahr erinnern: Diese Faktoren helfen nicht, um das Ganze zu verlangsamen.
Etwa 50 Prozent sind im Moment doppelt geimpft in der Schweiz. Das ist zu wenig, um die vierte Welle aufzuhalten. Was kann man Ihrer Meinung nach tun, um die Impfbereitschaft zu erhöhen?
Es ist ganz wichtig, den Leuten klarzumachen, dass die Wahl besteht zwischen Impfung und mit der Zeit infiziert zu werden. Wir müssen uns vor Augen halten: Das Risiko, ins Spital zu kommen, ist nicht kleiner geworden für eine nicht geimpfte Person.
Das Risiko für eine ungeimpfte Person, ins Spital zu kommen, hat sich verdoppelt im Vergleich zur ersten Welle.
Im Gegenteil: Wir haben jetzt neue Varianten, das bedeutet: Das Risiko für eine ungeimpfte Person, ins Spital zu kommen, hat sich verdoppelt im Vergleich zur ersten Welle.
Es gibt Kantone, wo man in die Schulen geht und die 12 bis 18-Jährigen animieren will, sich impfen zu lassen. Ist das sinnvoll?
Man hat in verschiedenen Kantonen gehört, dass es für die Jüngeren gar nicht so einfach war, an einen Impftermin zu kommen. Deshalb ist es sinnvoll, es für alle so einfach wie möglich zu machen, sich impfen zu lassen, so dass man aktiv die Impfung ablehnen muss, wenn man sich dagegen entscheidet, und dass nicht irgendwelche Hindernisse im Weg stehen, an eine Impfung zu kommen.
Sie haben heute ein Ziel formuliert, dass man die unter 12-Jährigen, die sich noch nicht impfen lassen können, besser schützen muss. Sie haben CO2-Filter erwähnt, Luftfilter, regelmässiges Testen. Alles Massnahmen, die im Moment von den Kantonen und den Gemeinden nicht oder nur zurückhaltend eingesetzt werden. Fordern Sie da mehr?
Unserer Einschätzung nach gibt es Massnahmen, die überhaupt nicht invasiv sind. Für die Kinder macht es überhaupt keinen Unterschied, ob ein CO2-Sensor da ist oder ein Luftfilter. Ja, das kostet etwas Steuergelder, aber im Vergleich zu allem, was wir bisher ausgegeben haben, ist das extrem wenig. Unser Ansatz ist: Alles, was nicht invasiv ist, sofort und umgehend implementieren, denn nur so können wir die Schulen mit möglichst wenig Viruszirkulation offenhalten.
Unser Ansatz ist: Alles, was nicht invasiv ist, sofort und umgehend implementieren, denn nur so können wir die Schulen mit möglichst wenig Viruszirkulation offenhalten.
Das Gespräch führte Urs Leuthard.