Die Infektionszahlen in der Schweiz steigen rasant, das Bundesamt für Gesundheit rechnet damit, dass schon bald wieder über 1000 Coronafälle pro Tag registriert werden. Immerhin: Bislang bleiben die Spitaleinweisungen wegen Corona tief. Doch niemand wisse, ob das so bleibe, sagt Chefarzt Philipp Schütz. Er empfiehlt dringend, sich jetzt impfen zu lassen.
SRF News: Der Bundesrat dürfte trotz steigender Fallzahlen mit einer Verschärfung der Corona-Massnahmen zuwarten – er will dafür stärker als bisher die Auslastung des Gesundheitswesens berücksichtigen. Wie beurteilen Sie dieses Vorgehen?
Philipp Schütz: Derzeit nehmen die Ansteckungen vor allem unter jüngeren Menschen zu, von ihnen kommen im Moment aber nur wenige ins Spital. Man muss abwarten, um zu sehen, ob es in den Spitälern zu einer Zunahme der Einweisungen wegen Covid-19 kommen wird.
Mit welchem Bauchgefühl blicken Sie auf die aktuelle Entwicklung?
Die Spitäler wurden von der zweiten Corona-Welle (ab Oktober 2020) hart getroffen, beim Spitalpersonal hat sie einen hohen Tribut gefordert. Viele Pflegende haben gekündigt und den Beruf gewechselt.
Viele Pflegende haben in der zweiten Welle gekündigt und den Beruf gewechselt.
Deshalb möchten wir keine solche Situation mehr erleben, das Bauchgefühl ist darum etwas mulmig. Derzeit ist allerdings noch unklar, wie stark das Gesundheitssystem von der vierten Welle getroffen wird.
Die Hospitalisationszahlen sind derzeit tief, viele Menschen sind geimpft. Das gibt doch auch Anlass zur Hoffnung?
Das ist sicher so. Gerade von den Älteren und den Risikopersonen sind inzwischen viele geimpft, anders als viele jüngere. Wenn nun die Infektionszahlen ansteigen, werden sicher auch ungeimpfte Menschen in mittlerem Alter mit einem schweren Verlauf von Covid-19 rechnen müssen. Das wiederum wird die Intensivmedizin erneut fordern.
Ein Blick in andere Länder zeigt, dass ein Anstieg der Fallzahlen zumindest bisher nicht mit einem Anstieg der Hospitalisationen einhergeht. Da gibt's für Sie doch eigentlich nur wenig Grund zur Sorge?
Es gibt verschiedene Modellrechnungen – und auch in Deutschland, Israel oder England rechnet man damit, dass die Spitaleinweisungen zunehmen werden, wenn die Infektionszahlen jetzt derart stark steigen.
Man muss davon ausgehen, dass die Zahl der Hospitalisationen zunehmen wird.
Tendenziell muss man davon ausgehen, dass die Zahl der Menschen, welche wegen Covid-19 Spitalpflege brauchen, zunehmen wird und die Spitäler wieder gefordert werden. Es ist aber noch unklar, wie stark und ob es wieder zu Kapazitätsengpässen kommen wird. Deshalb hat wohl auch der Bundesrat noch nicht mit Verschärfungen reagiert.
Auf welche Szenarien bereiten Sie sich vor?
Wir sind natürlich immer auf das Worst-Case-Szenario vorbereitet. Zweimal haben wir das in den letzten anderthalb Jahren bereits durchgespielt. Doch wir alle hoffen, dass es nicht ein drittes Mal so weit kommt.
Wenn sich viele impfen lassen, haben wir bessere Karten.
Was muss jetzt passieren, damit es nicht so weit kommt?
Viele der Covid-Fälle sind eigentlich unnötig. Und wenn sich in den kommenden Wochen noch viele Menschen impfen lassen und sich so gegen eine Ansteckung schützen, haben wir sicher bessere Karten. Sinnvoll ist auch, die Lage sehr engmaschig zu beobachten – was der Bundesrat und die Behörden ja tun – und bei einer Zunahme der Spitaleinweisungen schon in einem frühen Stadium Gegensteuer zu geben.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.