Vor gut einem Jahr hat sie ihr Leben in der ukrainischen Millionenstadt Odessa hinter sich gelassen. Die 18-jährige Sofiia. Sie ist wegen des Angriffskrieges der Russen gegen die Ukraine in die Schweiz geflüchtet, wie etwa 75'000 ihrer Landsleute. Trotz der tragischen Umstände wirkt sie wie ein ganz normaler Teenager. Unbeschwert und fröhlich.
Sofiia erinnert sich noch gut an ihren ersten Schultag an der Kantonsschule Schaffhausen: «Die Leute in meiner Klasse waren sehr, sehr nett zu mir. Trotzdem war es stressig – egal ob jemand Hochdeutsch oder Schweizerdeutsch gesprochen hat, ich habe nichts verstanden.» In kürzester Zeit änderte sich dies. Sofiia spricht heute überraschend gut Deutsch. Sie versteht alles, auch Schweizerdeutsch, und sie hat Freundschaften geschlossen.
Ich habe viele Freunde, das freut mich sehr.
Ein wenig später kam auch der 17-jährige Nikita an die Kantonsschule Schaffhausen, auch er aus Odessa, aber aus einem anderen Stadtteil. Die beiden kannten sich vorher nicht. Auch er spricht inzwischen schon gut Deutsch, lacht und gestikuliert dazu.
Ihm imponiert, wie durchlässig das Schweizer Schulsystem ist. Nachdem er zuerst einer anderen Schule zugeteilt wurde, durfte er nach kurzer Zeit an die Kantonsschule wechseln. Denn den Lehrern fiel rasch auf, wie schnell er Deutsch lernte und wie gut er in Mathematik war. «Die Lehrer helfen dir, wenn sie merken, dass du wirklich Mathe lernen willst», freut sich Nikita. Das eröffne ganz neue Möglichkeiten, zum Beispiel ein Studium auch mit einem Start in einer Realschule. «Das ist unglaublich cool!»
Doch so glatt und erfolgreich verlaufen längst nicht alle Schulkarrieren von Flüchtlingskindern, sagt Pascale Herzig, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH). Sie untersucht zurzeit die Situation von geflüchteten Kindern an den Schweizer Volksschulen. Obwohl die Studie auf drei Jahre angelegt ist, liegen bereits erste Erkenntnisse vor.
«Positiv ist: Die Einschulung von Kindern aus der Ukraine hat unbürokratisch geklappt», sagt Herzig. Dank des Schutzstatus S erhielten sie rasch Zugang zu Bildung. Je nach Gemeinde wurden sie in speziellen Willkommensklassen separat unterrichtet, manche integrierten die Kinder direkt in den Regelklassen. Das klappte recht gut, obwohl es temporär auch an Plätzen und Lehrpersonen fehlte.
Herzig ortet deshalb vor allem Probleme mit Flüchtlingskindern aus anderen Kriegsregionen. Diese hätten es nicht so einfach: «Dort ist es wesentlich komplizierter, sie müssen das Asylverfahren durchlaufen. Sie konnten vielleicht auch die Schule mehrere Jahre nicht besuchen.» Das führe zu riesigen Schwierigkeiten. «Da hatten die ukrainischen Kinder Glück.»
Doch auch bei den Kindern aus der Ukraine stehe nicht einfach alles zum Besten. Sie wüssten zum Beispiel nicht, wie lange sie bleiben dürfen. Ob sie hier eine Matur ablegen und studieren dürfen, das sei alles nicht geregelt. Diese Unsicherheit nagt auch an Sofiia und Nikita. «Ich kann alles gut machen und eines Tages heisst es: ‹Nikita, der Krieg ist beendet, du musst in die Ukraine, guten Tag›», beschreibt Nikita, was in seinem Kopf vorgeht.
Sofiia geht es ähnlich. Auch sie möchte irgendwann ein normales Leben führen und Wurzeln schlagen. «Ich frage mich jeden Tag, ob ich sicher bin. Das ist so schwer.» Sofiia möchte nach der Schule in die Kinderbetreuung. Nikita möchte Schauspieler werden. Beide möchten eine Perspektive und hoffen, dass ihnen die Schweiz diese bieten kann.