Die Volksschule sei am Anschlag und werde überfordert – mit diesen Worten kritisiert die FDP in einem Positionspapier das integrative Schulmodell, das die ganze Bandbreite von lernschwachen bis zu begabten Schülerinnen und Schülern in gemeinsame Klassen steckt. Die Ökonomin Beatrix Eugster sieht die Schweiz trotz offenkundiger Schwächen und Problemen auf dem richtigen Weg.
SRF: Ist die integrative Schule gescheitert, wie dies FDP-Präsident Thierry Burkart bilanzierte?
Beatrix Eugster: Die Sachlage ist nicht so klar. Selbstverständlich findet man gute und positive Aspekte der integrativen Schule. Man findet aber auch Schwierigkeiten. Sie ist kein Selbstläufer. Unsere Forschung zeigt aber klar, dass über alle Bevölkerungsschichten hinweg die integrative Schule besser wirkt als eine segregierte Variante.
Kritisch wird es bei einem Anteil von 15 bis 20 Prozent, was in der Regel vier Schülerinnen und Schüler pro Klasse ausmacht.
Ihre Studie im Kanton St. Gallen zeigt, wann die integrative Schule an Grenzen stösst. Was wurde untersucht?
Wir untersuchten die Auswirkungen von Klassenzusammensetzungen auf die Resultate des Stellwerk-8-Tests, der vergleichbar mit dem Pisa-Test ist. Dabei zeigte sich: Sobald eine kritische Masse an Kindern in einer Klasse überschritten wird, die besondere Bildungsbedürfnisse haben, kann das negative Auswirkungen auf die Lernleistungen der Mitschülerinnen und -schüler haben. Kritisch wird es bei einem Anteil von 15 bis 20 Prozent, was in der Regel vier Schülerinnen und Schüler pro Klasse ausmacht.
Wie gross ist die Zahl der besonderen Fälle im Schnitt?
Es sind tatsächlich vier bis fünf Fälle im Schnitt. Allerdings sind diese nicht gleichmässig auf die Klassen verteilt. Je nach Gemeinde, Schule und Klasse können es viel mehr sein. Dann wird es für alle schwierig: Schüler mit speziellen Bedürfnissen, Mitschülerinnen und Lehrerschaft.
Der von der Forschung eruierte kritische Wert ist erreicht. Können darunter die Leistungen einzelner Kinder leiden?
Ich würde das so nicht ganz verneinen. Doch was wäre die Alternative? Die Ausscheidung von Kindern mit speziellen Bildungsbedürfnissen oder die Einführung von mehr Leistungsstufen analog zur Real- und Sekundarschule wären gemäss unserer Forschung keine guten Ideen.
Die wirklich guten Leistungsträger, um deren Entfaltung man sich häufig sorgt, sind kaum betroffen.
Denn jene, die von den Mitschülern mit speziellen Bildungsbedürfnissen betroffen sind, sind die Kinder am unteren Leistungsspektrum. Sie würden dann alle zusammen in eine Klasse oder vielleicht sogar in eine Schule kommen. Die wirklich guten Leistungsträger, um deren Entfaltung man sich häufig sorgt, sind kaum betroffen. Sie haben eigentlich gar keine negativen Effekte bezüglich Lernleistung.
Wie könnten in einer integrativen Schule Lernschwache besser profitieren?
Indem man im Kleinen anfängt und die Klassen gleichmässig gestaltet. Es wird natürlich schwierig, wenn in einer Klasse acht bis zwölf Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten oder Lernschwächen sind, und in der anderen Klasse keines. Zudem müssen die Informationen fliessen, etwa beim Wechsel von der Primar- zur Sekundarschule, damit Kinder strategisch gut verteilt werden können.
Sind sie überzeugt, dass die integrative Schule das Idealmodell ist?
Ich glaube schon. Bei der Ausgestaltung gibt es viel Spielraum und ebenso viele Schwierigkeiten, die man zuerst lösen muss: Lehrkräftemangel, Ressourcen, Ausbildung von Lehrpersonen. Wir sind aber auf dem richtigen Weg und sollten nicht zur Segregation zurück.
Das Gespräch führte Sandro Della Torre.