Der 11-jährige Flurin aus Lyssach (BE) hat eine bewegte Schulkarriere hinter sich. Mehrmals wechselt er die Schule, weil es ihm nicht gut geht. Mit zehn Jahren hiess es, er sei in der Regelschule «nicht mehr tragbar», erzählt seine Mutter. Er muss in eine Sonderschule. Für die Eltern ein Schock: «Wovon reden die? Reden die von unserem Kind?».
Die Eltern kämpfen vor Gericht gegen die Sonderschul-Zuweisung.
Schule und Behörde dürfen sich wegen des laufenden Verfahrens nicht äussern. Doch in Akten, die der SRF vorliegen, argumentiert die Behörde, dass der Bub nebst Verhaltensauffälligkeit in der Entwicklung verzögert sei und unterdurchschnittlich intelligent. Er benötige umfassende Unterstützung.
Die Eltern und Fachleute aus ihrem Umfeld kritisieren die angewandten Tests und deren Interpretation. Sein Arzt diagnostiziert Flurin ein A-typisches ADHS und ein Trauma – entstanden durch Probleme in der Schule.
«Separatives Modell»
Ruben Schmid aus St. Margrethen (SG) hat Trisomie 21 und besucht die Regelschule im Dorf. Doch auch bei ihm verfügen die Behörden, dass er in eine Sonderschule soll. Die Eltern akzeptieren den Entscheid nicht: «Die Schulgemeinde sagte, sie seien eine separative Schule, sie hätten die Ressourcen nicht». Der Fall liegt beim Bundesgericht.
Die Schulbehörde kann wegen des laufenden Verfahrens nicht Stellung nehmen. In den Akten steht: Abklärungen durch Fachpersonen hätten Intelligenz- und Entwicklungs-Defizite gezeigt. Deshalb wäre der Bub in der Sonderschule besser gefördert. Der verzögerte Wechsel, so die Behörde, gefährde gar das Kindswohl. Ausserdem absorbiere der Bub die Klassenlehrperson stark.
Die Eltern widersprechen. «Ruben hat enorm vom Unterricht in der Regelklasse profitiert», erzählt die Mutter. Schulisch wie sozial. Er hindere die Klasse nicht am Vorwärtskommen, das wüssten sie von anderen Eltern.
Recht auf Integration?
Geht es nach Caroline Hess Klein vom Verband «Inclusion Handicap» müssten die Familien vor Gericht Recht bekommen. Grund: Die Schweiz habe 2014 die UNO-Behindertenrechtskonvention in Kraft gesetzt: «Das heisst, dass die Schweiz ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen schaffen muss.»
Die Kantone sind mit der Umsetzung beauftragt.
Doch es gibt Widerstand. Tim Kieser, ein junger Lehrer aus dem Kanton Luzern, ist überzeugt, dass sich die UNO-Behindertenrechtskonvention so schnell nicht in die Realität umsetzen lässt. Manche Kinder, so der Lehrer, seien in Sonderschulen besser aufgehoben. Kieser wünscht sich wieder mehr Möglichkeiten zur Separation.
Neue Sonderklassen
Im Kanton Luzern wurde im August ein Pilotprojekt lanciert. Verhaltensauffällige Kinder mit Sonderschulstatus, bei denen die Integration nicht klappt, werden in sogenannte Sonderklassen umplatziert. Diese seien dem Schulhaus angegliedert, damit eine Anbindung sichergestellt sei, erklärt Martina Krieg, Leiterin Dienststelle Volksschulbildung im Kanton Luzern: «Die Sonderschulklasse ist eine Mischform. Es sind Kinder mit Sonderschulstatus.» Da sie aber nah an der Regelklasse seien, hätten sie viele Anknüpfungspunkte. So könne Integration in Zukunft gelingen.