Heute beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit: Die Schweiz muss innert elf Jahren fünfmal mehr Strom aus Sonne, Wind und weiteren erneuerbaren Quellen produzieren als heute. Dem haben die Stimmberechtigten heute klar zugestimmt. Doch ein Gesetz allein produziert noch keinen Strom.
Zunächst zum Resultat: Die Allianz von links bis fast ganz rechts und von der Strombranche bis zu den wichtigsten Umweltverbänden war breit, ihr Sieg ungefährdet. Zu isoliert waren einzelne, kritische Naturschutz-Gruppierungen. Zu wenig plausibel ihre Warnungen vor einer Schweiz, «zugepflastert» mit Wind- und Solarparks.
Wenig wirksam war auch die Nein-Parole der SVP: Zu gespalten blieb die Basis. Zu offenkundig wurde, dass die von der SVP ins Spiel gebrachten neuen AKW kurzfristig keine Alternative sind.
Stromkonzerne müssen Tatbeweis erbringen
Nun also muss die Schweiz die Produktion von Sonnen- und Windstrom verfünffachen. Beim Solarausbau geschieht viel von selbst – immer mehr Gebäude werden mit Solarpanels bestückt. Doch das dürfte nicht reichen. Die Sieger von heute müssen ihren Worten Taten folgen lassen.
Beginnen wir mit den Stromkonzernen: Axpo, Alpiq, BKW, Repower und Co. müssen rasch Kraftwerke und die dafür nötigen Stromleitungen bauen und ausbauen. Die Zeit der Ausreden, weshalb die Konzerne im Ausland mehr investieren als im Inland, ist vorbei. Denn nun profitieren sie beim Kraftwerksbau von üppigen Subventionen, erleichterten Verfahren für bestimmte Wasserkraftprojekte und juristischen Vorteilen in Beschwerdeverfahren.
Streit um schnellere Bewilligungsverfahren steht bevor
Den Tatbeweis liefern müssen auch die siegreichen Politikerinnen und Politiker: Einigen sie sich im Parlament auf schnellere Bewilligungsverfahren für Kraftwerke? Schaffen sie das, ohne die Mitsprachemöglichkeit der Gemeinden allzu stark zu schmälern?
Die Gewinnerinnen von heute reden bereits von weiteren Schritten, konkret von einer Einschränkung des Beschwerderechts für kleinere Verbände. Hier lauert weiteres Konfliktpotential.
Zwiespältige Signale von Naturschützerinnen
Nicht weniger spannend: die Situation bei Pro Natura, WWF und Co. Halten sie sich mit Einsprachen zurück? Die Stiftung für Landschaftsschutz ist beim grössten Wasserkraftprojekt am Gornergletscher von Beginn weg ausgeschert und hat Widerstand angekündigt.
Und nun tut sie sich auch beim ersten erstinstanzlich bewilligten alpinen Solarpark der Schweiz im Berner Oberland bereits als Gegnerin hervor. Kleinere Organisationen, die bereits gegen das Stromgesetz waren, werden ohnehin gegen Projekte vorgehen.
AKW-Befürworter in Lauerstellung
Viele Fragezeichen, vielleicht zu viele: Denn bei der Stromversorgung verträgt es eigentlich keine Unsicherheit. Und dann gibt es noch den Faktor Atom. Ende August dürfte Energieminister Albert Rösti die AKW-Diskussion lancieren, mit einem Gegenvorschlag zur atomfreundlichen Stopp-Black-out-Initiative. Konkret könnte der Bundesrat das geltende Neubauverbot für AKW infrage stellen. Ob und wie rasch neue AKW tatsächlich eine Alternative sein können: Das ist offen.
Klar ist: Rechte Politikerinnen und Politiker setzen voll auf die Option Atom. Auch die Sympathien von SVP-Bundesrat Rösti sind bekannt. Er dürfte vielleicht zwei, drei Jahre beobachten, ob der grosse Ausbau von Sonnen-, Wind- und Wasserkraft in Gang kommt. Wenn nicht, dürfte er entschlossen auf den nuklearen Weg einbiegen.