«Alle, die schon einmal mit einem jüdischen Menschen gesprochen haben, stehen bitte auf», beginnt Ari Hechel das Seminar. Alle 30 Personen, angehende Lehrerinnen und Lehrer, erheben sich. Niemand bleibt sitzen. Das sei nicht immer so, sagt Hechel. In Schulklassen auf dem Land gebe es immer wieder Kinder, die noch nie mit Jüdinnen oder Juden in Kontakt gekommen seien.
Genau deshalb gebe es das Projekt Likrat des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds. «Likrat» ist hebräisch und heisst so viel wie «aufeinander zugehen». Seit 20 Jahren organisiert der Verein Besuche in Schulklassen. Seit vier Jahren gibt es auch Workshops für Studierende und Erwachsene. Mit dem Ziel: Verständnis zu schaffen und Vorurteile abzubauen.
Antisemitismus aufdecken
Der 22-jährige Ari Hechel ist einer von drei jungen Erwachsenen, die sich an diesem Morgen über ihre Religion, das Judentum, ausfragen lassen. Schon über 50 Schulbesuche habe er miterlebt. Ihm bedeute diese Arbeit viel.
«Wir können tatsächlich etwas verändern», erzählt Hechel. In einer Klasse sei ihm berichtet worden, dass Jugendliche im Klassenchat Judenwitze erzählt hätten. «Nach meinem Besuch in der Klasse, haben sie gemerkt, was für ein Blödsinn das war.»
Auch das könne Likrat: Antisemitismus aufdecken. Deshalb engagiert sich auch Daniel Brody beim Verein. Er habe Antisemitismus in der Schule selbst erlebt. Weil er Jude sei, habe niemand mit ihm Basketball spielen wollen, erinnert er sich. «Deshalb will ich heute über Antisemitismus aufklären und in den Dialog treten.»
Das klappt an diesem Morgen an der pädagogischen Hochschule Zürich reibungslos. Die angehenden Lehrerinnen und Lehrer stellen viele Fragen. Sie wollen zum Beispiel wissen, wie ein Sabbat abläuft, wie koscheres Essen schmeckt oder wie es für ihre Familien wäre, wenn sie sich in nicht-jüdische Personen verlieben würden.
Die drei jungen Jüdinnen und Juden geben offen Auskunft. «Es gibt keine dummen Fragen», sagt Orija Guggenheim, die Dritte im Bunde, die an diesem Morgen für Likrat im Einsatz ist.
Es gibt keine dummen Fragen
Unangenehm sei es ihm, wenn der Holocaust thematisiert werde, sagt Daniel Brody. Seine Grossmutter war in Auschwitz. Für seine Familie sei das heute noch ein grosses Trauma, erzählt er.
Im Gegensatz zu Daniel Brody spricht sein Kollege, Ari Hechel, gerne über seine Familiengeschichte. Mit dabei hat er einen Gebetsmantel, den Tallit, der seinem Urgrossvater gehörte. «Er wurde im Zweiten Weltkrieg von Nazis verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dann ermordet.»
Den Gebetsmantel dürfen die Studierenden anfassen. Auch koschere Gummibärchen haben die jungen Männer und Frauen von Likrat mitgebracht. Sie sind aus Fischgelatine statt aus Schweinegelatine gemacht. Den jungen Studierenden schmecken sie aber trotzdem. Die eineinhalb Stunden gehen wie im Flug vorbei.
Die angehenden Lehrerinnen und Lehrer sind begeistert. Sie nehme viel mit von der Begegnung mit den jungen Menschen von Likrat. «Es war eine gute Möglichkeit, Fragen zu stellen, die man sonst vielleicht nie stellen kann», sagt Alda Schwager, die in Zukunft das Fach Religion, Kultur und Ethik unterrichten wird. Die Informationen aus der «Likrat-Lektion» kann man definitiv nicht in einem Schulbuch nachlesen.