Richter Edward Korman war es gewohnt, knifflige Rechtsfälle zu entscheiden. Doch die Sammelklagen von Nazi-Opfern gegen die Schweizer Grossbanken waren auch für den Bezirksrichter in Brooklyn, New York, kein alltäglicher Fall.
Urteil des Salomon
Es war eine komplexe und vielschichtige Sache. Deshalb hoffte er 1996, als die erste Klage auf seinem Tisch landete, die Streitparteien würden sich untereinander einig. Ein ordentliches Verfahren hätte Jahre gedauert. Doch als nach rund zwei Jahren noch immer keine Lösung in Sicht war, musste Richter Korman handeln.
Die Schweizer Banken erkundigten sich bei ihm, was denn eine gerechte Vergleichssumme wäre. Korman, ganz Salomon, schlug einen Wert von 1,05 Milliarden Dollar vor – eine Summe in der Mitte von dem, was die Banken zahlen wollten und was die Kläger forderten. Als niemand protestierte, war ihm klar: ein Deal ist möglich.
Dieser wurde am 12. August 1998 Ortszeit (13. August Schweizer Zeit), also ziemlich genau vor 20 Jahren, verkündet: die Schweizer Banken, die Sammelkläger und die jüdischen Organisationen einigten sich auf einen umfassenden aussergerichtlichen Vergleich in der Höhe von 1,25 Milliarden US-Dollar (damals 1,8 Milliarden Franken), im Gegenzug wurden alle Sammelklagen fallengelassen.
Aufarbeitung der Vergangenheit
Der «Deal von New York» – er war ein Schlussstrich unter einen Streit, der jahrelang, jahrzehntelang gedauert hatte. Er hat die Schweizer Banken, die Schweizerinnen und Schweizer und die Schweiz als Land herausgefordert und gezwungen, sich unangenehmen Fragen der Vergangenheit zu stellen.
Für die Banken war die Sache eigentlich schon kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erledigt. Die Schweiz überwies damals der UNO 20 Millionen Franken als Abgeltung für die nachrichtenlosen Vermögen. Immer wieder versuchten Holocaust-Überlebende oder die Erben der Nazi-Opfer, an Vermögenswerte zu kommen, die sie auf Schweizer Banken glaubten. Oft fehlten ihnen die entsprechenden Dokumente. Doch die Banken verlangten diese in der Regel.
Das änderte sich Mitte 1990er-Jahre. Die Schweizer Grossbanken kamen immer stärker unter Beschuss. In den USA wurden Parlaments-Hearings durchgeführt. Jüdische Organisationen erhöhten den Druck. Nazi-Opfer reichten Sammelklagen ein. Der Wachmann Christoph Meili rettete historische Akten in den Räumlichkeiten der damaligen SGB vor dem Aktenvernichter.
«Die Vermögen sind nur Peanuts»
Und die Banken? Sie taten, was sie in der Vergangenheit immer taten: sie versteckten sich hinter dem Bankgeheimnis und spielten die Forderungen herunter. Legendär ist bis heute die Aussage des damaligen SGB-Chefs Robert Studer – er sprach im Zusammenhang mit den nachrichtenlosen Vermögen von «peanuts».
Wir hatten die Situation unterschätzt.
Eine Abwehrstrategie, die immer weniger aufrechtzuerhalten war. Zumal es in den USA auch zu Boykott-Androhungen kam und Bank-Lizenzen auf dem Spiel standen. «Wir hatten die Situation unterschätzt», sagte der damalige CS-Chef Rainer E. Gut schon rund ein Jahr vor dem aussergerichtlichen Vergleich gegenüber Radio SRF.
Er war einer der Ersten, der den Ernst der Lage erkannt hatte. Gut, eine der treibenden Kräfte hinter dem Vergleich, wollte weg von einer buchhalterisch-legalistischen und hin zu einer humanitären, moralischen Argumentation.
Politischer Widerstand
Auch die offizielle Schweiz reagierte nur zögerlich. Der spätere Schweizer Botschafter in Berlin, Thomas Borer, wurde zum Leiter einer Task-Force ernannt, die sich um die Angelegenheit kümmern sollte.
Am liebsten hätte sich die Schweiz ganz herausgehalten – es war ja ein Streit zwischen den Banken und deren Kundschaft. Doch es ging um viel mehr. Es ging auch um das Verhalten der Schweizer Nationalbank während des Zweiten Weltkriegs, es ging um die Flüchtlingspolitik. Es ging um die Vergangenheit der Schweiz.
Diese Vergangenheit wurde von der Bergier-Kommission auf 12’000 Seiten akribisch aufgearbeitet. Kaum ein anderes Land hat Ähnliches getan. Auch Ideen, wie vergangenes Unrecht wiedergutgemacht werden könnte, wurden lanciert. Am berühmtesten wohl die Idee des Bundesrats, mit Nationalbank-Gold eine Solidaritätsstiftung zu äufnen. Diese Idee stiess auf politischen Widerstand, der damalige SVP-Nationalrat Christoph Blocher bekämpfte sie. An der Urne wurde die Stiftung abgelehnt.
Was bleibt? Die Schweiz hat ihr Selbstbild korrigiert. Ihr Verhalten während der Nazi-Zeit wird heute anders, realistischer gesehen. Die Schweizer Banken hofften, mit dem «Deal von New York» sei das Bankgeheimnis gerettet. Sie irrten sich. Mit dem UBS-Skandal und dem Steuerstreit während der letzten Finanzkrise kam es erneut unter Druck und wurde faktisch abgeschafft.