Die Sozialdemokratie befinde sich in einer historischen Krise, nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa. Es brauche deshalb einen radikalen Neuanfang, wenn die SP wieder Wähler dazugewinnen wolle.
Gegenprojekt zum «linken Aufbruch»
Diese These von Mattea Meyer und Cédric Wermuth blieb in der SP über einen Monat lang unwidersprochen. Dabei fordern die beiden einen stark ideologisch, um nicht zu sagen: marxistisch geprägten «linken Aufbruch» für die Sozialdemokraten. In der Zwischenzeit hat sich Widerstand gegen diese Idee formiert, insbesondere in der Westschweiz.
Nun präsentieren die Zürcherin Priska Seiler Graf und der Walliser Mathias Reynard ein Gegenprojekt zum «linken Aufbruch» von Meyer/Wermuth. Vor allem Seiler Graf steht für eine pragmatischere Politik. Die SP müsse nicht den Kapitalismus abschaffen wollen, sondern weiterhin den Erfolg im Kompromiss suchen.
Kampf um wichtige Zürcher Stimmen
Im Unterschied zur Kandidatur Meyer/Wermuth ist das Ticket Seiler Graf/Reynard strategisch darauf ausgerichtet, ein möglichst breites Spektrum der Partei abzudecken. Die beiden repräsentieren die junge SP wie die etwas ältere, Frau und Mann, Stadt und Land, Deutschschweiz und Westschweiz, den linken wie den liberalen Parteiflügel. Und, nicht unwichtig, dank Priska Seiler Graf soll sich auch die mächtige Zürcher Kantonalpartei vom Ticket repräsentiert fühlen.
Damit wollen Seiler Graf/Reynard für mehr Ausgleich innerhalb der SP sorgen, so Reynard. Wermuth unterstellt den beiden, dass sie die Partei damit nicht einen, sondern in «verschiedene Sphären» zerlegten. Da zeichnet sich für die nächsten drei Monate ein harter Kampf um das SP-Präsidium ab.
Zwei unterschiedliche Konzepte
Das Konzept von Seiler Graf/Reynard ist weniger ideologisch geprägt als jenes von Meyer/Wermuth. Sie wollen eine Politik machen, die näher bei den Leuten ist. Was immer das auch heisst.
Tatsache ist aber, dass Reynard in der Westschweiz äusserst populär ist. Meyer/Wermuth müssten also in der Deutschschweiz einen Riesenvorsprung auf Seiler Graf/Reynard herausholen, um in der Endausmarchung eine Chance zu haben.
Meyer/Wermuth haben ein klares Konzept, wie sie die SP wieder zum Erfolg führen wollen. Ob es das richtige ist, sei dahingestellt. Bei Seiler Graf/Reynard ist das Konzept noch nicht so deutlich erkennbar. Dafür kann sich in ihrem Ticket praktisch jedes SP-Mitglied mit der einen oder anderen Person identifizieren. Das könnte am Ende wahlentscheidend sein.