Wer in der Schweiz ein Grundstück kauft, um darauf zu bauen, muss wissen, wie gross das Haus von Gesetzes wegen werden darf. Dafür gibt es Masse wie die Ausnützungsziffer und Gesamt- oder Firsthöhen.
Nur sind diese Messweisen nicht einheitlich geregelt; je nach Kanton werden sie verschieden definiert. Wer ein Häuschen in seinem Dorf baut, muss lediglich die lokalen Vorschriften kennen und einhalten. Schnell mal unübersichtlich kann es aber für Bauunternehmen werden, welche in mehreren Kantonen tätig sind.
«Das ist keine grosse Geschichte»
Eine Studie des Bundes kam 1998 zum Schluss, dass die Vielfalt der kantonalen Planungs- und Baugesetze sowie kommunalen Bau- und Zonenordnungen Mehrkosten von zwischen 400 und 800 Millionen Franken pro Jahr verursacht.
Markus Mettler ist Konzernchef des Bauunternehmens Halter AG. Der fünftgrösste Baukonzern des Landes baut in der ganzen Schweiz. Die kantonalen Baugesetze zu kennen, sei eine Herausforderung für die Projektleiter, Architekten und Ingenieure, sagt er.
Trotzdem bezeichnet Baukonzern-Chef Mettler den Mehraufwand, den der Föderalismus mit sich bringt, als vernachlässigbar. «Ein Profi weiss innerhalb einer Stunde was die kantonalen Unterschiede sind. Das ist keine grosse Geschichte».
Vielfalt und Kreativität
Mettler sieht gar Vorteile im Föderalismus. Die Vielfalt an Regeln und Vorschriften fördere die Kreativität des Bauens. Anders sieht es die nationale Politik. Aufgeschreckt durch die Kostenstudie von 1998 machte sie Druck auf die Kantone: Um ein nationales Baugesetz zu verhindern, war die zuständige Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz bereit, 2005 die sogenannte interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der Baubegriffe IVHB zu verabschieden.
Auch die Bauwirtschaft erhoffte sich dadurch Einsparungen. Im Konkordat wurden 30 baurechtliche Begriffe vereinheitlicht. Mittlerweile sind 18 Kantone diesem Konkordat beigetreten. Pikantes Detail: Mehrere dieser Konkordats-Kantone haben Ausnahmen definiert. Die Vereinheitlichung ist also nur teilweise umgesetzt. Auch 16 Jahre nach Gründung dieses Konkordates ist deshalb die landesweite Harmonisierung der Baubegriffe nicht umgesetzt.
Für Halter-Chef Mettler ist das Harmonisierungsmandat ein Schuss ins Leere: «Es ist kein Bedürfnis vorhanden, dass der Bund uns eine Messmethode zur Verfügung stellt. Er soll diese Ressourcen besser investieren.»
Das wichtigste Werkzeug des Föderalismus
Das Konkordat über die Harmonisierung der Baubegriffe ist kein Einzelfall. 800 Konkordate gibt es derzeit in der Schweiz. Mit diesen Verträgen werden gewisse kantonale Regeln oder Gesetze vereinheitlicht, ohne dass ein nationales Gesetz geschaffen wird. Aber die Teilnahme der einzelnen Kantone an diesen Konkordaten ist freiwillig.
Was uns der Föderalismus kostet, diese Frage kann auch Föderalismus-Kennerin und Politologin Rahel Freiburghaus nicht einfach so beantworten. Der Föderalismus habe seinen Preis. Auf den ersten Blick scheine eine nationale Lösung immer kostengünstiger. «Zudem verlangt Föderalismus etwas von uns allen; nämlich unsere Zeit. Dieses kleinräumige Gemeinwesen fordert von uns, dass wir uns aktiv einbringen in dieses föderale Staatswesen».
Mindestens den Faktor Geld machten die Kantone aber wieder wett, indem sie nämlich in einem permanenten Wettbewerb zueinander stünden, sagt Freiburghaus. Am bekanntesten ist sicher der Steuerwettbewerb. Will ein Kanton tiefere Steuern anbieten um so attraktiv zu sein, hält er wohl auch den Behördenapparat möglichst schlank und günstig.
Oder der Kanton lockt mit Effizienz und Angeboten. Also der Wettbewerb unter den Kantonen und auch Gemeinden sorge für effiziente Verwaltungen und haushälterischem Umgang mit Steuergeld, so Freiburghaus.
«Föderalismus hat ein Imageproblem»
Die Corona-Krise hat teilweise die Kantone und Behörden an den Anschlag gebracht. Die Kritik am Kantönligeist hat in den letzten Monaten zugenommen. Aber diese Kritik sei nicht neu. Freiburghaus glaubt, dass der Föderalismus zu Unrecht ein Image-Problem hat. Eine Umfrage aus dem Jahr 2017 zeigte bei Jungen, dass der Föderalismus einen schlechten Stand habe. Die Politologin plädiert dafür, dass die Vorteile des Föderalismus besser vermittelt werden müssen.
Dass zentralistische Staaten gerade in einer Pandemie wie Corona besser und effizienter handeln würden, dementiert Freiburghaus und bringt als Beispiel Frankreich. Dort haben einzelne Regionen zu Beginn der Pandemie eigenständig Gesundheitsmaterial organisiert. Die Armee hatte dieses Material dann im Auftrag der Regierung in Paris konfisziert, um es dann neu verteilen zu können. Das sei sicher nicht effizienter gewesen, so Freiburghaus.
Kritik am Föderalismus ist nicht neu. Bereits in den 1960-er Jahren veröffentlichte Historiker Herbert Lüthy die Kantönligeist-Kritik «Vom Geist und Ungeist des Föderalismus». Die liberale Denkfabrik Avenir Suisse provozierte in den Nuller-Jahren mit einer Studie, welche die Abschaffung der 26 Kantone forderte.
Stattdessen sollten in der Schweiz sieben bis maximal zehn Grossregionen geschaffen werden. Aber die Autoren hielten die Chancen der Realisierung für ein derartiges Projekt selbst für äusserst minim. Da dürften sie wohl Recht haben. Die Abschaffung der Kantone wäre wohl gleichbedeutend mit der Abschaffung der Schweiz.
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