Die Nutzung von Wasser aus Flüssen und Bächen nimmt in der Landwirtschaft seit Jahren zu. Gleichzeitig gibt es immer mehr Wasserentnahmeverbote wegen Trockenheit. Das zeigen exklusive Daten aus dem Kanton Aargau, die SRF erstmals auswerten konnte.
Die Entwicklung könnte problematisch werden. Die Behörden sind besorgt. Und der Bund fordert ein Umdenken bei der landwirtschaftlichen Bewässerung.
Wir zeigen am Beispiel des Kantons Aargau, wer warum mit wem um das wertvolle Gut Wasser konkurriert und was für Lösungen die Landwirtschaft finden muss.
Wasser wurde in den letzten Jahren mehr und mehr zum Politikum und führt zu Aggressivität gegen Bauern.
Rund zwei Millionen Franken hat Gemüsebauer Jörg Friedli in den vergangenen Jahren in die Wasserversorgung seines Betriebes investiert. Er hat kilometerweise Leitungen verlegt, grosse Wasserbecken gebaut und ein Sammelsystem für Regenwasser installiert. Friedli kämpft um Wasser für die Zukunft seines Betriebes, für die Bewässerung seiner rund 40 Hektaren Anbaufläche.
«Wasser ist für uns lebensnotwendig. Investitionen in die Wasserversorgung mache ich auch für meinen Junior, das sind Investitionen in die Zukunft», sagt Friedli. Die Investitionen seien aber immer eine Herausforderung für den Betrieb. Sie müssen schnell amortisiert sein, weil das Geschäft sonst in finanzielle Schieflage gerät.
Ein Konflikt ums Wasser ersetzt einen anderen
Friedlis Ziel ist Unabhängigkeit. Bis vor einigen Jahren deckte der Gemüsebauer seinen Wasserbedarf hauptsächlich mit Trinkwasser aus dem öffentlichen Netz. In Zeiten, in denen die Bevölkerung während der Sommermonate den Rasen nicht wässern oder das Auto nicht waschen darf, kam es deswegen schon zu Konflikten: «Wasser wurde in den letzten Jahren mehr und mehr zum Politikum und führte zu Aggressivität gegen Bauern», sagt Friedli.
Leute beschwerten sich, dass der Landwirt Trinkwasser auf die Felder spritzt, während sie den Rasen vertrocknen lassen müssen. Solche Konflikte möchte Friedli vermeiden. Er will kein Trinkwasser mehr auf seine Gemüsekulturen spritzen und weicht auf Flusswasser aus.
Entscheidend für den Gemüsebetrieb ist die Nähe zur Reuss, einem der grossen Flüsse im Aargau. Friedli hat vom Kanton mehrere Bewilligungen, dass er an verschiedenen Orten grosse Wassermengen aus dem Fluss pumpen darf. «Die Reuss ist für uns ein Segen. Ihr Wasser ist für meinen Betrieb matchentscheidend.»
So wie Friedli geht es vielen Landwirtschaftsbetrieben im Aargau. Sie sind zur Entlastung des Trinkwassernetzes mehr und mehr auf Wasser aus Flüssen und Bächen angewiesen. Sie stellen beim zuständigen kantonalen Amt ein Gesuch und erhalten in der Regel eine Wasserentnahmebewilligung für mehrere Jahre. Damit entstehen aber zunehmend neue Konflikte.
Recherche zeigt: Gewässer stossen vermehrt an ihre Grenzen
Allein im Aargau können jährlich hunderte Millionen Liter Wasser aus Flüssen und Bächen gepumpt werden für die Bewässerung, vor allem im Frühling und Sommer. Während die Wasserentnahme für grosse Flüsse wie Aare, Rhein, Limmat und Reuss kein Problem ist, stossen mittelgrosse und kleinere Flüsse immer häufiger an ihre Grenzen.
Im Rahmen einer Recherche konnte SRF exklusiv die Entwicklung dieser Wasserentnahmen in den letzten zehn Jahren im Kanton Aargau auswerten. Dabei zeigt sich: Die gesamte Wassermenge, die aus Flüssen und Bächen entnommen werden darf, ist stark gestiegen. Zwischen 2012 und 2022 hat sie sich verdreifacht (siehe Grafik weiter oben). Der Bedarf nach Wasser aus Flüssen und Bächen nimmt stark zu.
Ebenfalls deutlich zugenommen haben im Aargau die kurzfristigen Verbote zur Wasserentnahme. Wenn der Wasserabfluss in einem Bach eine kritische Grenze erreicht, wenn die Wasserlebewesen und das Ökosystem bedroht sind, dann verfügen die Behörden einen Entnahmestopp, bis sich die Situation erholt hat. Die Zahlen belegen: Zwar schwankt die Zahl der Entnahmestopps, in der Tendenz aber werden es immer mehr.
Landwirte dürfen sich nicht mehr auf die bewilligte Menge der Wasserentnahme verlassen.
Die angeordneten Entnahmestopps dauern zudem immer länger. Sie betreffen nicht mehr wie früher nur den Hochsommer, sondern können auch mal von Juni bis November anhalten, sagt Susette Burger, die Leiterin der Sektion Gewässernutzung beim Kanton. Durch die Recherche von SRF sind auch die Aargauer Behörden auf die Entwicklung aufmerksam geworden.
Man müsse diese Entwicklung bei den Wasserentnahmen jetzt genau im Auge behalten, sagt Susette Burger: «Landwirte dürfen sich nicht mehr auf die bewilligte Menge der Wasserentnahme verlassen.» Burger überwacht mit ihrem Team die Wassernutzung, erteilt Bewilligungen und verhängt Entnahmeverbote. Dabei stellte sie in den letzten Jahren eine weitere problematische Tendenz fest.
Wasserprobleme breiten sich auf weitere Regionen aus
Tiefe Pegelstände in den Bächen und Entnahmeverbote kennt man in einigen Aargauer Regionen schon länger. Im Fricktal und im Bünztal haben sich die Landwirte mit der Situation arrangiert. Im Bünztal zum Beispiel gibt es bei Wasserknappheit eine Kehrordnung unter den Wassernutzenden.
Mit diesem System legt der Kanton genau fest, wer an welchem Tag zu welchen Zeiten wie viel Wasser aus dem Flüsschen Bünz pumpen darf. Mit diesem System können die einzelnen Landwirte zwar ihre bewilligte Wassermenge nicht mehr ausschöpfen, dafür verzögern oder verhindern sie so gemeinsam einen Entnahmestopp. Ein bisschen Einschränkung zum Wohle aller, der Umgang mit der Wasserknappheit ist hier Routine.
Ganz anders ist das in einer anderen Ecke des Kantons. Seit Kurzem sind im Aargau auch Gewässer von Entnahmeverboten betroffen, bei denen das früher kaum je ein Thema war. Das spüren Landwirtschaftsbetriebe aus den betroffenen Regionen immer stärker. Zum Beispiel jener von Daniel Frey. Für ihn ist der Kampf ums Wasser noch neu.
Frey ist Gemüsebauer in Kirchleerau, in der Aargauer Grenzregion zum Kanton Luzern. Seine Gemüsefelder befinden sich an der Suhre, einem Flüsschen, das aus dem Sempachersee gespiesen wird. Bis vor wenigen Jahren gab es hier kaum je ein Entnahmeverbot wegen Trockenheit. Nun scheint sich das aber zu ändern, wie Frey im Gespräch mit SRF sagt.
Ich bin jetzt seit gut 20 Jahren hier. Die Annullationen von Bewilligungen haben eher zugenommen, das ist für uns problematisch. Land, das wir nicht bewässern können, ist für den Gemüseanbau unbrauchbar.
In den letzten paar Jahren habe es zweimal ein Entnahmeverbot gegeben für die Suhre. Das stellte ihn vor Probleme: «Ich bin jetzt seit gut 20 Jahren hier. Die Annullationen von Bewilligungen haben eher zugenommen. Das ist für uns problematisch. Land, das wir nicht bewässern können, ist für den Gemüseanbau unbrauchbar.»
Der Kanton Aargau bestätigt die Entwicklung anhand seiner Zahlen. «Das Suhrental, das Wynental und weitere Regionen sind in den letzten Jahren vermehrt von Wasserknappheit in Flüssen betroffen. Bei der Suhre sind wir nahe am Limit», sagt Susette Burger. Unter Umständen müsse man sich für diese Regionen auch bald Gedanken für ein Rationierungssystem machen, wie man es aus anderen Regionen kennt. Aber auch wesentlich schärfere Massnahmen sind nicht mehr tabu.
Bald gar kein Wasser mehr aus einzelnen Bächen?
Mit Sorge beobachtet man beim Kanton Aargau, dass sich die Wasserknappheit neu auch von einem Jahr zum nächsten fortsetzen kann. Das sei eine heikle Entwicklung, erklärt Spezialistin Susette Burger. Früher konnte sich das Wassersystem nach einem trockenen Sommer zuverlässig regenerieren.
Wenn sich das so fortsetzt, wird es markante Veränderungen geben.
In den letzten Jahren kam es aber vermehrt vor, dass es in den Herbst- und Wintermonaten keine langen und grossflächigen Regenfälle gegeben habe. Die Pegelstände von Flüssen, Bächen und Grundwasser konnten sich nicht erholen. Die Folge: Schon früh im Folgejahr kommt es zu Knappheit und Entnahmeverboten. Susette Burger wirkt ob dieser Entwicklung besorgt: «Wenn sich das so fortsetzt, wird es markante Veränderungen geben.»
Beispiel für eine markante Veränderung wäre etwa eine drastische Einschränkung der Gewässernutzung. Man müsse sich mit der aktuellen Entwicklung schon die Frage stellen, ob Wasserentnahmen aus kleineren Bächen auch weiterhin möglich sind oder ob das künftig nur noch bei den grossen Flüssen geht, sagt Susette Burger, die Hüterin der Aargauer Gewässer.
Sie weiss um die Sprengkraft des Gedankens und die allfälligen Folgen für die Landwirtschaft. Jedoch müsse sie das Gesetz punkto Gewässernutzung einhalten und das schreibe vor, dass die Wasserentnahme den Lebensraum und die Ökologie nicht gefährden darf.
Weitere Konflikte ums wertvolle Wasser scheinen angesichts der Entwicklung fast vorprogrammiert. Konflikte um die Frage, wer wann wie viel von welchem Wasser verwenden darf. Oder Konflikte um die Investitionskosten für neue Bewässerungsformen und Umstellungen bei der Wasserentnahme. Bis hier Kompromisse und Lösungen gefunden sind, dürfte noch viel Wasser die Flüsse hinuntergeflossen bzw. auf die Felder verspritzt worden sein.