«Ich habe mir ernsthaft überlegt, aus der Kirche auszutreten», sagt Matthias Wenk, katholischer Stadt-Seelsorger in St. Gallen. Er liebt seinen Job, doch die letzten Wochen seien hart gewesen. Er habe mit sich und dem System Kirche gerungen, erzählt er in der «Rundschau».
Grund sind die Resultate der von der Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Studie der Universität Zürich über Missbrauch in der katholischen Kirche. Besonders wütend macht Matthias Wenk, dass kirchliche Verantwortungsträger zahlreiche Fälle verschwiegen, vertuscht oder bagatellisiert haben. Er frage sich seither: «Kannst du für diese Institution noch arbeiten?»
Doch wer nun austrete, der könne nichts mehr verändern. Deshalb bleibt er. Seine Frau hingegen ringt immer noch mit einer Antwort. Sie wolle ihren Protest gegen das System der Kirche zeigen. Wie sonst, wenn nicht mit einem Austritt?
Die Gespräche mit ihrem Mann zeigten ihr aber auch, dass die Menschen an der Basis für Veränderungen kämpfen. Den konstruktiven Protest möchte sie unterstützen: «Das ist der Grund, der mich daran hindert, wirklich einen Austritt zu vollziehen.»
Es sei falsch, jetzt auszutreten, predigt der katholische Pfarrer Josip Knezevic in seinem Gottesdienst. Damit schwäche man nicht den kirchlichen Machtapparat, sondern seine Gemeinde. Er ist überzeugt, dass etwas geschieht, doch es brauche Geduld: «Es geht nicht so schnell, aber ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.»
Luzerner Kirchgemeinden stoppen Zahlung an Bistum
Die Kirchgemeinden in der Region Willisau überweisen kein Geld mehr an ihr Bistum. Es geht zwar nur um ein Prozent der Kirchensteuer, die sie zurückbehalten, doch knapp 50'000 Franken liegen nun auf einem Sperrkonto. Nicht viel Geld, weiss auch die Präsidentin der katholischen Kirchgemeinde Willisau, Evelyne Huber-Affentranger. «Es ist der einzige Hebel, den wir haben.»
Die Kirchgemeinden wollen ein Zeichen setzen, ihren Mitgliedern zeigen, dass sie nicht einverstanden sind. «Dieser Ungehorsam fühlt sich nicht gut an, aber wir haben einfach keinen anderen Schritt mehr gesehen und wir haben den Druck aus der Bevölkerung gespürt», sagt Huber-Affentranger.
Mit Austrittswelle konfrontiert
Die vielen Austritte der letzten Wochen hätten die Kirchgemeinde zum Handeln motiviert. Normalerweise seien es ein bis zwei Austritte pro Woche, in den letzten 14 Tagen waren es über dreissig. Das Bistums-Geld wollen sie zurückhalten, bis es eine unabhängige Meldestelle gibt sowie ein Verbot zur Aktenvernichtung. Langfristig sollen sich die Bischöfe für die Abschaffung des Pflichtzölibats und für die Gleichstellung von Mann und Frau einsetzten.
Die Landeskirche als übergeordnete Stelle erklärte, dass die Kirchgemeinden nicht eigenständig über das Bistumsgeld verfügen könnten. «Uns ist bewusst, dass wir etwas machen, was nicht rechtens ist, aber es ist wirklich das einzige Druckmittel, das wir haben», sagt Evelyne Huber-Affentranger. Ob dieser sanfte Druck tatsächlich etwas bewirken kann, wird sich zeigen. Bis jetzt haben nur wenige Gemeinden angekündigt, die Bistumszahlungen ebenfalls zu stoppen.