Der Bundesrat mache keine «Spektakel-Politik»: So begründete Gesundheitsminister Alain Berset, wieso die Schweizer Regierung auf eine Ausgangssperre verzichtet. Eine extreme Einschränkung der Bewegungsfreiheit – so wie sie Italien oder Spanien erlassen hat – sei nicht sinnvoll.
Die Landesregierung geht davon aus, dass eine Ausgangssperre von den freiheitsliebenden Eidgenossinnen und Eidgenossen nicht eingehalten würde, vielleicht sogar kontraproduktiv wäre. Denn es zeichnet sich immer mehr ab, dass die Bevölkerung noch während Wochen, wenn nicht sogar Monaten, auf Distanz leben und arbeiten muss. Eine Ausgangssperre würde kaum während einer solch langen Zeit akzeptiert.
In Spanien ist selbst Joggen oder Fahrradfahren verboten – mit unabsehbaren Langzeitfolgen für die Gesundheit. Psychiater rechnen aufgrund der Ausgangssperre mit einem rasanten Anstieg von Patienten. Das will der Bundesrat verhindern.
Frühlingswetter als Problem
Doch es war offensichtlich diese Woche: Die Empfehlung des Bundes, zu Hause zu bleiben und auf Distanz zu gehen, wurde von Teilen der Bevölkerung nicht eingehalten. Vor allem das Frühlingswetter machte der Landesregierung einen Strich durch die Rechnung. Deshalb ist es verständlich und wohl wirklich auch notwendig, dass der Bundesrat die Schraube weiter anziehen muss.
Nicht mehr als fünf Personen
Das bundesrätliche Versammlungsverbot von mehr als fünf Personen im öffentlichen Raum kann die Polizei zwar kontrollieren und Bussen von 100 Franken pro Person aussprechen. Aber die Schweiz hat eine vergleichsweise geringe Polizeidichte und wird nicht jede Ansammlung von Menschen auflösen können. Der Bundesrat appellierte darum folgerichtig noch mehr an die Selbstverantwortung.
Wenn nicht alle die «Fünferregel» befolgen, wird die Massnahme nicht wirken. Und es muss jetzt wirklich gelingen, die stark ansteigende Ansteckungskurve zu bremsen – das machte der Bundesrat unmissverständlich klar. Wenn jetzt alle möglichst viel zu Hause bleiben und sich draussen mit höchstens fünf Menschen auf Distanz treffen, kann möglicherweise noch verhindert werden, dass die Spitäler in wenigen Wochen nicht mehr alle Schwerkranken versorgen können.
Kantonaler Wildwuchs
Mit dem eng definierten Versammlungsverbot will der Bundesrat aber auch den kantonalen Wildwuchs bei der Umsetzung der Massnahmen gegen das Coronavirus stoppen. Während die Stadt Zürich Ansammlungen von 15 Leuten auflöste, erliess der Kanton Uri gestern eine umstrittene Ausgangssperre für Senioren. Der Bundesrat liess heute durchblicken, dass er nicht glücklich ist über die Umsetzung des kleinen Bergkantons. Es gehe jetzt nicht mehr, dass jeder Kanton das Versammlungsverbot anders umsetze. Erlaubt ist es den Städten aber weiterhin, Parkanlagen abzusperren, so wie es Bern oder Zürich machen.
Regierung schafft Vertrauen
Der Staat soll nicht alles regeln, meinte Alain Berset. Man müsse Augenmass walten lassen. Es komme auch nicht infrage, mit Handydaten die Bewegung einzelner Bürgerinnen und Bürger zu überwachen. Auch in der schlimmsten Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hält die Landesregierung das Prinzip des freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaats hoch – das schafft Vertrauen in der Bevölkerung.
Die Schweizer Massnahmen mögen jenen anderer europäischer Länder etwas hinterherhinken – dafür sind sie wohlüberlegt und werden hoffentlich von der Bevölkerung mitgetragen.