Normalerweise melden sich etwa 20 Interessierte, wenn die Abteilung für Schulmedien des Kantons Genf einen neuen Kurs ausschreibt. Für die ChatGPT-Schulung haben sich aber in kürzester Zeit 120 Lehrerinnen und Lehrer angemeldet.
Für Direktor Manuel Grandjean zeigt das klar: «Die Lehrer spüren, dass sich da gerade etwas Grundlegendes verändert und dass viel auf dem Spiel steht.»
Grosse Zweifel an Abschlussarbeit
Eine anwesende Lehrerin hat bereits eine Diplomarbeit vorliegen, bei der sie fast sicher ist, dass betrogen wurde. Eine andere erzählt, dass ihre 16-jährigen Schülerinnen gar nicht wussten, was ChatGPT sei. Ein Lehrer ist sich sicher, dass seine Schüler das Programm nicht nutzen – aber vielleicht könne es ihm ja dienen.
Kursleiter Eric Vanoncini beschäftigt sich mit dem Programm ChatGPT, seit es Ende letztes Jahr aufgeschaltet wurde. Dass die Antworten dieses Chatbots so menschlich wirken, fasziniert ihn.
KI hat (noch) Schwächen …
Für die Lehrpersonen sei es kaum möglich zu merken, ob eine Arbeit von der Maschine oder einem Menschen stamme. Wenn ein schwacher Schüler unvermittelt starke Arbeiten abgebe, sei das verdächtig, sagt Vanoncini.
Aber so überzeugend ChatGPT sein könne, so gross seien derzeit auch noch die Schwächen des Programms. «Die künstliche Intelligenz arbeitet nicht mit Wahrheiten, sondern mit Wahrscheinlichkeiten», erklärt Vanoncini.
ChatGPT ist sehr stark darin, totalen Blödsinn zu erzählen.
Zur Illustration stellt er dem Programm eine Fangfrage: «Wie sammelt man Kuh-Eier ein?» Die Antwort: «Beim Einsammeln von Kuh-Eiern sollten Sie Handschuhe tragen, um sich vor möglichen Bakterien zu schützen.» Die künstliche Intelligenz korrigiert keinen Nonsens, sie kombiniert ihn. «Sie ist sehr stark darin, totalen Blödsinn zu erzählen.»
... aber auch Stärken
Je präziser die Aufgabe, desto besser die Leistung von ChatGPT. Die KI kann ganze Bücher zusammenfassen. Falls gewünscht kapitelweise und mit einzelnen Schreibfehlern versehen. Sie tut dies jedes Mal aufs Neue, kopiert also nicht fortlaufend Texte. Es ist dieser Prozess, der es so schwierig macht, Plagiate nachzuweisen. Auch für Computerprogramme.
An den Schulen wird es deshalb künftig wichtig sein, vermehrt über geistiges Eigentum, Zitate oder Plagiate zu sprechen. ChatGPT könnte auch dazu führen, dass der Präsenzunterricht – nach Corona – wieder wichtiger wird. Und für die mündliche Prüfung und Prüfungen ohne jede elektronischen Hilfsmittel könnte es ebenfalls ein Comeback bedeuten.
Inhaltlich dürfte es im Unterricht wichtiger werden, Prozesse zu vermitteln. Wie das beim Mathematikunterricht aufgrund des Taschenrechners längst der Fall sei.
KI gehört in den Unterricht
ChatGPT lässt sich nicht ignorieren. Besser wäre, den Chatbot in den Unterricht zu integrieren: Damit zu arbeiten und über die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz zu reden. Und nicht zuletzt könnte es auch den Lehrpersonen dienen. Als Assistenz, die Übungen entwirft oder abändert – und als Inspiration.
Die Ausbildung in Genf zeigt, dass ChatGPT viele Fragen aufwirft. Eine Empfehlung ist aber ganz deutlich: Es gilt, die neuen Möglichkeiten kennenzulernen und auszuloten – nicht nur in den Schulen.