Kindertagesstätten müssen weiterhin geöffnet bleiben, weil sie als systemrelevant gelten. Doch trotz der 40 Milliarden Notkredite für Unternehmen warten Kitas weiterhin auf Unterstützung des Bundes. Weil viele Eltern ihre Kinder während der Corona-Krise nicht mehr in die Kita bringen, fehlen diesen die Einnahmen.
Man brauche deshalb dringend finanzielle Unterstützung, sagt Estelle Thomet vom Verband Kinderbetreuung Schweiz. Sonst gerate man nach der Viruskrise in eine Betreuungskrise.
SRF News: Wieso sind Kindertagesstätten systemrelevant?
Estelle Thomet: Alle Betreuungsinstitutionen sind systemrelevant – nicht nur Kitas. Denn ohne sie könnte die Ärztin ihre Kinder nicht bei der Tagesfamilie vorbeibringen und dann ihrer Arbeit im Spital nachgehen. Oder der Verkäufer an der Supermarkt-Kasse könnte seine Arbeit zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung nicht machen, wenn er seine kleine Tochter nicht in die Kita bringen könnte.
Der Bundesrat definiert die Kitas als systemrelevant, regelt die Finanzierung aber nicht.
Der Bundesrat argumentiert, es sei Sache der Kantone und Gemeinden, Lösungen für die Kitas zu finden. Ist da nicht etwas dran?
In normalen Zeiten könnte man durchaus so argumentieren. Doch in der aktuellen Krise ist alles anders. Der Bundesrat hat die Betreuungsinstitutionen per Notrecht als systemrelevant erklärt, doch eine Finanzierung, um das systemrelevante Angebot aufrechterhalten zu können, hat er nicht geregelt.
Wieso wenden Sie sich nicht an die Kantone und Gemeinden, die für den Bereich zuständig sind?
Das tun wird durchaus und appellieren, rasch zwischen den verschiedenen Ebenen abgestimmte Lösungen zu finden. Einige Kantone und Gemeinden haben finanzielle Leistungen zugesichert, doch sie tun das ausserhalb des Rechtsrahmens. Entsprechend sind die Modalitäten sehr unterschiedlich und nicht immer zufriedenstellend.
Die öffentliche Hand muss für die fehlenden Elternbeiträge wegen der Viruskrise einstehen.
Der Bund sollte die Führung übernehmen und koordiniert vorgehen. Unsere Forderung ist klar: Die öffentliche Hand muss für die fehlenden Elternbeiträge im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise einstehen.
Wenn derzeit weniger Kinder in die Kitas kommen – beispielsweise, weil die Eltern nicht arbeiten gehen können und ihre Kinder selber zu Hause betreuen – bedeutet das doch auch weniger Arbeit für die Kitas...
Nein, denn die Arbeit in Betreuungsstätten ist unter den jetzigen Bedingungen massiv erschwert. Das Einhalten der Hygiene-Massnahmen bedingt mehr Personal, weil die Betreuung beispielsweise nur in kleinen Gruppen möglich ist. Es ist eine sehr schwierige Zeit in der Betreuungsarbeit, doch wir nehmen die Verantwortung wahr. Deshalb ist es auch besonders schlimm, wenn man uns jetzt im Regen stehen lässt.
Falls auf die Viruskrise eine Betreuungskrise folgt, werden alle darunter leiden.
Sehen sich die Kitas quasi als Opfer von politischen Meinungsverschiedenheiten?
Alle werden Opfer sein, falls auf die Covid-19-Krise eine Betreuungskrise folgt: Die Arbeitgeber, die nicht auf ihre Angestellten zurückgreifen können, die Eltern und natürlich die Kinder. Denn letztere werden nach der Viruskrise nicht in ihre vertraute Betreuungseinrichtung zurückkehren können, wenn es nicht bald eine Lösung für die finanziellen Probleme der Kitas gibt.
Was erwarten Sie jetzt vom Bundesrat?
Er muss die Situation in ihrer Gesamtheit analysieren und sich klar werden, was sie bedeutet. Es werden jetzt ja nicht neue Begehrlichkeiten geweckt. Man muss klarstellen: Es geht darum, das systemrelevante Betreuungsangebot aufrechtzuerhalten – und dies nicht auf Kosten der Eltern, die auch so schon unter massivem Druck stehen.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.