Sie sieht aus wie eine grosse Anlage mit Wasserrutschbahnen: die Zentrale der neuen See-Energie-Anlage von Energie Wasser Luzern EWL in Horw. Vier Meter unter dem Boden schlängeln sich die Rohre und Leitungen durch den Raum. Hier passiert das, was doch ziemlich erstaunlich anmutet: Aus dem kalten Seewasser wird Energie gewonnen, um Wohnungen zu heizen. Seit Mitte Dezember sind die ersten Haushalte angeschlossen.
Dafür hat EWL ein grosses Wasserleitungs- und Wärmesystem aufgebaut. Am Anfang steht eine Wasserfassung in rund 44 Metern Tiefe im Vierwaldstättersee – dort, wo das Wasser konstant rund 5 Grad warm ist, erklärt Gesamtprojektleiter Jörg Hoffmann: «Wir entnehmen dem See Wasser und tauschen es hier in der See-Energie-Zentrale aus.»
Separate Kreisläufe
In einem sogenannten Wärmetauscher wird dem Seewasser Energie entzogen, welche an einen anderen geschlossenen Wasserkreislauf abgegeben wird. Die beiden Kreisläufe kommen nie miteinander in Berührung, das Seewasser fliesst nach dem Wärmeentzug direkt zurück in den See. Es ist dann rund drei Grad kälter. Dass nicht direkt mit dem Seewasser geheizt wird, hat einen Grund: Es sollen so Kontaminierungen verhindert werden, sagt Jörg Hoffmann. «Bei einem möglichen Schaden an der Anlage darf der See auf keinen Fall belastet werden.»
Mit der dem Seewasser entzogenen Energie werden dann über ein separates Leitungsnetz die Heizungs- und Warmwassersysteme bestimmter Quartiere der Luzerner Agglomerationsgemeinden Horw und Kriens beliefert. Die Anlage soll künftig aber nicht nur wärmen, sondern auch kühlen - der Wärmetauscher funktioniert nämlich auch in die umgekehrte Richtung. So sollen etwa Klimaanlagen oder Kühlsysteme von Serverräumen betrieben werden.
Grosse Investitionen mit Tücken
Das Projekt See-Energie-Anlage in Horw ist aktuell das schweizweit grösste. Schritt für Schritt wird es bis zu 7000 Haushalte mit Energie versorgen. EWL hat dafür kräftig investiert: Rund 11 Millionen gingen in die Zentrale, das ganze Projekt mit allen Anschlussleitungen kostet sogar fast 100 Millionen Franken.
Insgesamt wurden während eines Jahres über vier Kilometer Leitungen verlegt. Nicht alles hat reibungslos funktioniert, wie Projektleiter Hoffmann sagt. «Bei den Bohrungen gab es diverse Schwierigkeiten. So kam es an einem Ort wegen eines Einbruchs in der Bohrhöhle zu Absenkungen in der Landschaft. Diesen Schaden mussten wir dann wieder beheben.»
Auch sonst sei es eine komplizierte Bausituation gewesen, so Hoffmann: «Die Leitungen sind alle im Grundwasserbereich und das ganze Seeufer ist ein Naturschutzgebiet. Wir mussten also grosse Löcher bohren und das kostete viel Geld.» Viel Geld, aber auch ein hoher ökologischer Nutzen: In Zukunft soll die Anlage jährlich rund 10'000 Tonnen CO2 einsparen. Das entspricht etwa der Menge, die 2000 Menschen pro Jahr produzieren.
Ganz ohne fossile Energie geht es nicht
Zwei Wermutstropfen bleiben allerdings: Einerseits kommt das System noch nicht ganz ohne fossile Energie aus. Um den Wärmebedarf in Spitzenzeiten zu decken, wird nach wie vor rund 10 Prozent der Energie mit Gas produziert. Da soll künftig grüne Energie zum Einsatz kommen. «Unser Plan ist es, diese 10 Prozent durch erneuerbare Gase wie Biogas oder Wasserstoff zu ersetzen», sagt EWL-Chef Stephan Marty. «So möchten wir mittel- und langfristig eine hundertprozentig erneuerbare Wärmeversorgung realisieren.»
Andererseits hat die Umstellung auch ein finanzielles Problem: See-Energie kostet die Kundinnen und Kunden zurzeit noch mehr als Energie etwa aus Ölheizungen. EWL setzt da auf Langfristigkeit. Die erneuerbaren Energieformen würden sich künftig auch finanziell lohnen, ist Projektleiter Jörg Hoffmann überzeugt. «Bei konventionellen Wärmepumpen oder Holzheizungen sind wir bereits jetzt durchaus in einem konkurrenzfähigen Bereich.»
Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft
Sollte EWL diese beiden Probleme lösen können, würde sich eventuell auch ein Ausbau anbieten. Das Potenzial des Vierwaldstättersees bleibt nämlich gross: Laut einer Studie der ETH-Forschungsanstalt Eawag aus dem Jahr 2014 könnte das Wasser aus dem Vierwaldstättersee den gesamten angrenzenden Siedlungsraum mit Wärme oder Kälte versorgen – ohne Nachteile für die Umwelt.
Die Wissenschaftler gingen bei ihren Berechnungen davon aus, dass sich das Seewasser um höchstens ein halbes Grad Celsius abkühlen dürfe. Daraus ergäbe sich eine Wärmemenge von total 2900 Gigawattstunden, was dem Bedarf von gegen 300'000 Einwohnern entspricht. Die Studie hält fest, «dass das Potenzial des Vierwaldstättersees für Heizen deutlich über dem realistischen Wärmebedarf liegt.»