Bauen schadet dem Klima. Schweizweit sind rund 30 Prozent der CO₂-Emissionen, sogar die Hälfte des Ressourcenverbrauchs und 80 Prozent des Abfallvolumens auf Bautätigkeit zurückzuführen. Wer also Gebäude umnutzt, statt sie abzureissen, schützt das Klima.
Basel-Stadt tut dies derzeit mit dem neuen Volta West, ein Quartier für 2000 Menschen und mit 2500 Arbeitsplätzen, das aus dem alten Industriegebiet Lysbüchel entsteht. So dient dort ein ehemaliges Lagerhaus heute als Schulhaus.
Jetzt geht der Stadtkanton, der bis 2037 Netto-Null schaffen will, noch weiter: Das grosse alte Lysbüchel-Parkhaus passte nicht zu seinen neuen Plänen.
Statt das Parkhaus als Bauschutt zu deponieren, lässt Immobilien Basel-Stadt (IBS) grosse Bauteile sorgfältig ausbauen für ein zweites Leben: «Re-use» heisst das Konzept für Recycling in grossem Stil. In dieser Dimension sei das neu in der Schweiz, sagt IBS-Entwicklerin Christina Bronowski.
Erster Teilekatalog rasch geleert
Über zehn Meter lang sind die Betonsäulen des 1970 gebauten Parkhauses, die unter anderem in Wohngebäuden in Kleinbasel und beim Dreispitz verbaut werden.
IBS hat diese Betonsäulen vermessen, untersucht, katalogisiert und Architekturbüros bei Wettbewerben als Baumaterial angeboten. Das Interesse war unerwartet gross, sodass der erste Katalog für Re-use-Bauteile rasch vergriffen war.
Ein Trend seit dem Mittelalter
An sich ist Rezyklieren von Baustoffen nichts Neues; so wurden etwa schon im Mittelalter Mauersteine von Burgen für den Hausbau in den umliegenden Dörfern eingesetzt. Auch Bauteilbörsen gibt es schon seit Jahren, wo man zum Beispiel alte Holztüren oder Treppengeländer kaufen kann.
Bei heutigen Prozessen, Verträgen und Abläufen passt nichts zueinander.
Geht es jedoch um grosse tragende Teile, ist Re-use weit anspruchsvoller. Man müsse komplett umdenken, sagt IBS-Entwicklerin Bronowski. «Es braucht Mut. Die heutigen Prozesse, Verträge und Abläufe, da passt nichts zueinander. Wenn man mit Re-use bauen möchte, plant man um ein Bauteil herum, statt wie bis anhin erst zu entwerfen und dann zu schauen, welche Teile man braucht.»
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Bild 1 von 6. Einzelne Elemente der Betondecke wurden säuberlich auseinander gesägt, ... Bildquelle: zVg/Pierre Marmy für Solanellas Van Noten Meister.
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Bild 2 von 6. ... für den Transport per Lastwagen vorbereitet ... Bildquelle: zVg/Pierre Marmy für Solanellas Van Noten Meister.
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Bild 3 von 6. ... und später zur Baustelle für das Wohnhaus am Schliengerweg gebracht. Bildquelle: zVg/Solanellas Van Noten Meister.
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Bild 4 von 6. Die alten Bauteile tragen künftig neue Wohnungen – und sind schon aussen sichtbar. Bildquelle: zVg/Solanellas Van Noten Meister.
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Bild 5 von 6. In den künftigen Wohnzimmern wird es kaum mehr nach Parkhaus-Etagen aussehen. Bildquelle: zVg/Solanellas Van Noten Meister.
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Bild 6 von 6. Die Visualisierung eines Arbeitszimmers zeigt die Proportionen des massiven alten Teils in einer luftigen neuen Wohnung. Bildquelle: zVg/Solanellas Van Noten Meister.
Zudem gelten für alle Neubauten die gleichen Baunormen, egal woher das Material kommt. Marianne Meister, Inhaberin des Architekturbüros Solanellas Van Noten Meister (SVNM), wünscht sich, dass für Altbauten weniger strenge Regeln gelten würden. Es sei reizvoll, mit grossen Betonteilen arbeiten zu können, die sonst für ein Wohnhaus zu teuer wären.
Der Aufwand sei noch grösser als vermutet, sagt Meister. Die 55 Jahre alten Occasion-Teile aus dem Parkhaus müssten aufwendig getestet werden: «Da geht die Rechnung sicher nicht auf.»
Auch für IBS ist Re-use aufwendig – mit der Katalogisierung, der Logistik und dem Lagerplatzbedarf. Als kantonale Stelle könne sie aber langfristig rechnen, heisst es dort. Und die Vorbildfunktion beim Bauen sei ein Auftrag des Kantonsparlaments.
Bauteil-Pass soll vereinfachen
Dem Kanton wie auch den Architekten ist klar, dass es eine Standardisierung braucht für Re-use-Teile. Bronowski schwebt eine Art Bauteil-Pass vor, der den Markt dafür vereinfachen würde.
Gerade weil Rückbau und Neubau bei IBS aus einer Hand gingen, lobt die Basler Architektin Sara Barth vom Verein «Countdown 2030» den Basler Re-use-Weg als «vielversprechenden Ansatz». Ihr Verein will das Netto-Null-Ziel im Schweizer Bauwesen schon 2030 erfüllt sehen. Basel-Stadt will das bis 2037 schaffen, die Schweiz bis 2050.