300 Menschen sterben in der Schweiz jährlich aufgrund von Hitze – Tendenz steigend. In heissen Sommern sind es nochmals deutlich mehr: Der Hitzesommer 2003 forderte knapp 1000 Todesopfer.
Auch der Sommer 2022 ist ausserordentlich heiss. Dieses Jahr sorgten die hohen Temperaturen im Juni für eine messbare Übersterblichkeit – die jüngste Hitzewelle noch nicht mitgerechnet.
Das Problem wird in den nächsten Jahrzehnten grösser werden: Durch den Klimawandel gibt es immer mehr heisse Sommer, wie ein Blick auf die durchschnittliche Temperaturen in den Monaten Juni, Juli und August der vergangenen 62 Jahren verrät.
Unter den zehn heissesten seit 1864 von Meteoschweiz erfassten Sommern wurden sieben in den letzten 20 Jahren gemessen.
2022 ist auf dem besten Weg, sich weit vorne in der Rangliste einzuordnen: Nur im Juni des Rekordsommers 2003 war es im Schweizer Durchschnitt heisser als im Juni 2022. Dies, nachdem bereits der Monat Mai der zweitheisseste je gemessene Mai war. Und im Juli lässt die aktuelle Hitzewelle ebenfalls die Rekorde purzeln.
Immer mehr Hitzetage
An höhere Durchschnittstemperaturen kann sich der menschliche Körper langfristig gewöhnen. Das gilt allerdings nicht für extreme Temperaturen, wie sie in der aktuellen Hitzewellen vorkommen.
Seit 2015 werden Hitzewellen vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz als eine der grössten natürlichen Bedrohungen für die Schweiz klassifiziert.
Besonders gefährlich für die Gesundheit wird es ab 30° Celsius, wie eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit zeigt. Darüber steigt das Sterberisiko mit jedem zusätzlichen Grad erheblich an.
Steigt das Thermometer einer Messstation während des Tages auf über 30 Grad an, sprechen Meteorologinnen und Meteorologen von einem Hitzetag. Diese gibt es in der Schweiz immer häufiger – egal, ob dies in einer Messstation tief am Genfersee, im Tessin oder nördlich der Alpen gemessen wird
Als Faustregel gilt: In tieferen Lagen und in Städten gibt es häufiger Hitzetage als in den Bergen. Doch überall zeigt die Kurve nach oben. Nach den aktuellen Klimaszenarien wird sich dieser Trend in den kommenden Jahren zuspitzen.
Hunderte zusätzliche Tote in Hitzesommern
In der Schweiz wird auf einem Todesschein «Hitze» kaum je als Todesursache genannt. Die Zusammenhänge sind oft komplexer: Es ist ähnlich wie beim Alkoholiker, der nicht an einer Alkoholvergiftung stirbt, sondern an Leberversagen oder Darmkrebs. Hitze führt zu Todesfällen durch Herzkreislaufstörungen, Atemwegserkrankungen oder Nierenversagen.
Besonders gefährdet sind ältere Menschen. Besteht bei ihnen schon bei gewöhnlichen Temperaturen die Tendenz, zu wenig zu trinken, wird das Durst- und Hungergefühl bei Hitze noch stärker reduziert. Zudem ist die Wärmeregulation häufig beeinträchtigt.
Chronisch Kranke, Schwangere und Kleinkinder sind ebenfalls gefährdet, da die Körperkühlung noch nicht vollständig ausgebildet oder eingeschränkt ist.
Expertinnen und Experten können die hitzebedingte Sterblichkeit berechnen: Sie vergleichen dazu die zu erwartende Anzahl Todesfälle mit der tatsächlich während Hitzeperioden registrierten. Sie untersuchen folglich, ob es eine Übersterblichkeit gab – eine Kennzahl, die während der Pandemie häufig genutzt wurde, um die Auswirkung von Covid-19 auf die Sterbefälle zu messen.
In den Rekordsommern ist der Effekt der Hitze auf die Sterblichkeit messbar: Die Übersterblichkeit steigt merklich an. Zu beobachten ist das etwa im Hitzesommer 2015. Im zweitheissesten je gemessenen Sommer betrug die hitzebedingte Übersterblichkeit gemäss einer Studie 800 Todesfälle.
2019, im drittheissesten Sommer in der (messbaren) Schweizer Geschichte, forderte die Hitze ebenfalls über 500 Opfer.
Dieses Jahr ist bereits im Juni eine erhebliche Übersterblichkeit zu erkennen. Die Corona-Sommerwelle alleine kann das nicht erklären: Wöchentlich wurden Ende Juni nur etwa ein Dutzend Corona-Todesfälle gemeldet.
Ausserdem flachen die Todesfälle just dann wieder ab, als die Temperaturen sanken – die Corona-Welle rollt dagegen unbeirrt weiter.
Nun sind die Tage wieder ähnlich heiss, die Nächte lau. Die Auswirkungen davon wird man in wenigen Wochen in den Sterblichkeitsdaten sehen.
Kantonaler Flickenteppich bei den Massnahmen
Eine gute Nachricht gibt es: Präventionsmassnahmen, um vor Hitze zu schützen, wirken. 2018 und 2019 war die Übersterblichkeit im Vergleich zu 2003 und 2015 vergleichsweise tief, trotz ähnlich hoher Temperaturen. Im Tessin und in der Westschweiz war der Rückgang am deutlichsten – und damit in jenen Kantonen, die nach dem Jahrhundertsommer einen Hitze-Aktionsplan ausgearbeitet haben.
Auf nationaler Ebene gibt es in der Schweiz keinen Hitzeplan, dies fällt in die Kompetenz der Kantone. In den Deutschschweizer Kantonen gibt es keine Pläne wie in der Romandie, manche Kantone und Städte setzen immerhin einzelne Massnahmen um.
Besonders die Städte müssen sich rüsten: Betonwüsten heizen sich extrem auf und kühlen in der Nacht nur schlecht ab.
Länder wie Frankreich, Italien, Spanien oder England kennen nationale Hitzenotpläne. Besonders Frankreich hat aus dem tödlichen Jahrhundertsommer 2003 gelernt. Seitdem bestehen unter anderem Register mit alleinstehenden Personen über 60 Jahren, die bei einer Hitzewarnung systematisch kontaktiert und beraten werden.