Die Altstädte von Luzern, Wil (SG) oder Stein an Rhein (SH) gehören zur Visitenkarte der Schweiz und ziehen Touristen aus aller Welt an. Doch diese historischen Stadtteile stossen hierzulande nicht nur auf Bewunderung.
Geschichtsträchtige Gebäude erschweren es, mehr und neuen Wohnraum zu bauen, argumentiert die Immobilienwirtschaft. Markus Meier, Direktor des Hauseigentümerverbands HEV Schweiz, bezeichnet den Heimatschutz als regelrechten «Bremsklotz»: «Er verhindert die Erneuerung von Gebäuden, das heisst auch die Erweiterung und das Erstellen von Wohnraum.» Zudem würde auch die energetische Sanierung blockiert.
Studie sieht Potenzial bei geschützten Gebäuden
Dass mit weniger Heimatschutz tatsächlich zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden könnte, legt eine neue Immobilienstudie der Bank Raiffeisen dar. Darin heisst es, dass eine Lockerung des Denkmalschutzes zusätzliche oder zumindest günstigere Bauprojekte ermöglichen würden. So könnte laut der Studie sogar die Wohnungsnot teilweise gelindert werden.
Die Studie zum Nachlesen:
Der knappe Wohnraum war auch ein Thema am Freitag bei einem Runden Tisch unter der Führung von Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Vertreter und Vertreterinnen von Kantonen, Städten und Gemeinden sowie der Bau- und Immobilienbranche diskutierten über das Problem und mögliche Lösungen.
Runder Tisch ohne Heimatschutz
Nicht eingeladen beim Runden Tisch war der Schweizer Heimatschutz. Dabei hätte Geschäftsführer Stefan Kunz gerne mitdiskutiert, denn er sieht Klärungsbedarf. «Man ist verunsichert, was der Denkmalschutz hier wirklich beiträgt oder eben nicht», sagt er mit Blick auf die Wohnsituation.
Thematisiert hätte Kunz auch die Zahl der denkmalgeschützten Gebäude. Von den rund 2.7 Millionen Gebäuden in der Schweiz stehen heute etwa zehn Prozent unter Denkmalschutz. Davon sind 196 Gebäude teilweise schützenswert, d.h. ein Umbau oder Abbruch ist möglich. Hingegen sind rund 75'000 Gebäude gesetzlich geschützt – ein Abbruch oder Umbau ist nicht möglich.
Eindrückliches Beispiel Lichtensteig (SG)
Dass aber ein Gleichgewicht zwischen Denkmalschutz und Erneuerung möglich ist, zeigt das Beispiel der Kleinstadt Lichtensteig im Kanton St. Gallen. Vor einigen Jahren hatte der Ort mit Abwanderung zu kämpfen, Gebäude waren baufällig und Wohnungen standen leer. Dank gezielter Projekte wurde der historische Kern von Lichtensteig wieder belebt und Investoren angezogen.
Heute findet man im Stadtzentrum sorgfältig renovierte Gebäude. All diese Entwicklung wurde in diesem Jahr mit dem vom Schweizer Heimatschutz vergebene Wakkerpreis gewürdigt. So ist die Textilindustrie, die einst in Lichtensteig florierte, verschwunden. Dafür hat die Kleinstadt nun Platz für Menschen und Ideen.
Die ehemalige Fabrik wird heute als Kulturstätte genutzt. Weil das Gebäude so nah am Fluss und dem Wald gebaut ist, wäre kein gleich grosser Neubau möglich gewesen. Deshalb hat sich die Gemeinde entschieden, die Fabrik umzunutzen, statt abzureissen. Lichtensteigs Ministadt zeigt, dass es möglich ist, mit Altem und Neuem den Lebensraum zu vergrössern.