Eine Hausfrau und Vollzeitmutter verlässt ihren Mann. In einer gerichtlichen Vereinbarung unterschreibt sie, dass die Kinder abwechselnd beim Vater und bei der Mutter wohnen – alternierende Obhut nennt sich das.
Doch seither sind sechs Jahre vergangen und sie hat ihre Kinder noch keinen einzigen Tag betreut. Ihr Mann war durch das Verlassenwerden so verletzt, dass er sagte: Entweder du bleibst bei mir oder du verlierst die Kinder. Die Treffen sind seit der Trennung so selten, dass Mutter und Kinder einander entfremdet sind.
Die Mutter hätte sich gewünscht, dass die Behörden die alternierende Obhut – oder wenigstens das Besuchsrecht – mit Sanktionen durchgesetzt hätten. Gemäss Gesetz könnten sie das nämlich. «Aber niemand traut sich, mit Konsequenz einzugreifen», sagt die betroffene Mutter. Laut der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) solle Ruhe einkehren.
Mit raschem Eingreifen Entfremdung verhindern
Diese Geschichte ist kein Einzelfall. Im Gespräch mit Betroffenen und Elternorganisationen zeigt sich, dass Gerichte und Kindesschutzbehörden die gesetzlichen Sanktionsmöglichkeiten wie Ungehorsamsstrafe, Obhutswechsel oder polizeiliche Begleitung kaum nutzen.
Monatelange Abklärungen der Behörden spielen dem sabotierenden Elternteil in die Hände.
Die Betroffenen würden sich aber ein sofortiges und konsequentes Eingreifen wünschen, damit es gar nicht erst zu einer Entfremdung kommt – und am Ende die Kinder selbst den Vater oder die Mutter nicht mehr sehen wollen. «Der Zeitfaktor spielt eine grosse Rolle», sagt die betroffene Mutter.
«Würden die Behörden bereits beim ersten nicht funktionierenden Besuchsrecht handeln, könnte eine Entfremdung allenfalls verhindert werden. Monatelange Abklärungen der Behörden spielen dem sabotierenden Elternteil in die Hände.»
Doch die Kesb setzten das Besuchsrecht aus gutem Grund nicht mit der Polizei durch, sagt Diana Wider von der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (Kokes). Denn: «Das löst das Problem nicht und dient auch nicht dem Kindeswohl.» Rechtliche Sanktionen brächten keine nachhaltige Verbesserung, weil sie die Elternkonflikte nicht lösten. Mediationen seien vielversprechender.
Kantone gehen neue Wege
Tatsächlich setzen immer mehr Kantone auf Deeskalation: Die Kantone Basel-Stadt, St. Gallen und Wallis kennen obligatorische Beratungen für hoch zerstrittene Eltern. Im Kanton Waadt müssen sich trennende Eltern an einen Informationsanlass und fünfmal in eine Mediation gehen.
Der Bundesrat evaluiert die in den Kantonen laufenden Projekte. Dabei will er auch darlegen, wie schneller entschieden und konsequenter gehandelt werden kann, wenn Besuchsrechte oder Obhutsvereinbarungen nicht eingehalten werden. Das Bundesamt für Justiz stellte erste Erkenntnisse an einer Tagung Ende November vor.
In Extremfällen wie meinem bringt eine obligatorische Beratung nichts.
Die betroffene Mutter findet solche Angebote zwar gut, aber nur für Familien, in denen ein Kontakt noch möglich ist. «In Extremfällen wie meinem bringt eine obligatorische Beratung nichts. Der Vater würde die Kinder trotzdem nicht herausrücken.»
Sie ist daher selbst aktiv geworden und berät jetzt andere betroffene Mütter und Väter. Gemeinsam mit ihnen ist sie daran, ein Vernetzungsangebot aufzubauen.