Meter für Meter arbeiten sich die Monteure in schwindelerregender Höhe vorwärts. Sie stehen auf kleinen Podesten, die an den Leiterseilen der neuen Hochspannungsleitung im Goms im Wallis hängen. Ihre Aufgabe: Distanzhalter zwischen den Leitungen zu installieren. Diese verhindern, dass sich die Kabel zum Beispiel bei starkem Wind überschlagen.
Künftig sollen Hochspannungsleitungen immer so gebaut werden wie im Goms, nämlich oberirdisch und nicht im Boden. So will es der Bund. So soll es künftig deutlich weniger lange dauern, bis eine Leitung gebaut werden kann, sagt die Mediensprecherin des Bundesamts für Energie, Marianne Zünd: «Heute geht es viel zu lange, bis eine Baubewilligung für den Bau einer Leitung vorliegt. Für jedes einzelne Projekt muss heute geprüft werden, ob es als Freileitung oder als Kabel gebaut wird.» Mit dem Freileitungsgrundsatz entlaste man die Verfahren und komme schneller voran, sagt Zünd.
Beim Bau von Hochspannungsleitungen ist viel Geduld gefragt
Wie lange es dauern kann, bis eine neue Leitung steht, zeigt ein anderes Stromnetz-Projekt im Wallis: Über dreissig Jahre vergingen von der ersten Idee bis zur Inbetriebnahme der Hochspannungsleitung zwischen Chamoson und Chippis. Im Durchschnitt dauern entsprechende Bauprojekte mindestens 15 Jahre. Die Folge: Das Schweizer Stromnetz ist derzeit zu schwach, um all den Strom, der in den Walliser Bergen produziert wird, ins Mittelland und ins Tessin zu bringen. Dass nun der Bund den Ausbau des Hochspannungsnetzes beschleunigen will, kommt in der Strombranche zwar gut an. Ganz zufrieden ist sie mit den Plänen aber nicht. So fordert die Strombranche, dass auch beim Ausbau des Verteilnetzes, also den Leitungen in den Städten und Quartieren, aufs Gaspedal gedrückt wird.
Wieso der Ausbau auf den tieferen Netzebenen ebenfalls drängt, begründet der Direktor des Verbandes der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen, Michael Frank, mit einem Beispiel: «Ein paar Nachbarn beschliessen, eine Solaranlage zu bauen. Dann kommen weitere Nachbarn dazu. Im selben Quartier werden Tiefgaragen mit Ladestationen für E-Autos ausgestattet.» Irgendwann sei der Transformator, der an dieser Leitung hänge, überbelastet. Dieser müsse ersetzt werden, sagt Frank und fügt an: «Damit verbunden sind Baugesuche, Plangenehmigungsverfahren und mögliche Einsprachen.» Angesichts der Energiewende müsse das schneller gehen, so der Verbandsdirektor.
Der Landschaftsschützer ist skeptisch
Im Gegensatz zu ihm drückt der Landschaftsschützer Raimund Rodewald auf die Bremse. Der Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz befürchtet, dass die Natur zu kurz kommt, wenn der Ausbau des Stromnetzes beschleunigt werden soll: «Mit Beschleunigungserlassen wie diesem, der jetzt in die Diskussion geht, wurde die Büchse der Pandora geöffnet.» Damit würde man Begehrlichkeiten schaffen, so Rodewald und sagt weiter: «Am Schluss hat man den Eindruck, der Bundesrat möchte Infrastruktur ohne Rücksicht auf Verluste bauen und der Natur- und Landschaftsschutz soll in die zweite Reihe gestellt werden.»
Entschieden ist noch nichts: Das Parlament muss noch darüber befinden, ob Hochspannungsleitungen in Zukunft grundsätzlich oberirdisch gebaut werden sollen, so wie jene im Goms im Wallis.