Opfer von Gewalt sollen vor Gericht und anderen Behörden einfacher beweisen können, dass sie psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren haben. Deshalb finanziert der Kanton Graubünden ab sofort eine «Sprechstunde Forensic Nursing», die allen offen steht, die durch eine Straftat in ihrer Integrität beeinträchtigt wurden. Für einen Untersuch braucht es keine Anzeige bei der Polizei. Das ambulante Angebot ist kostenlos, anonym und vertraulich.
Eine gerichtsverwertbare Dokumentation der Verletzungen hilft immens.
«Man hat bei häuslicher Gewalt keine Zeugen dabei – es steht Aussage gegen Aussage», sagt Sabina Altermatt, Leiterin der Koordinationsstelle Häusliche Gewalt beim Sozialamt des Kantons Graubünden. Wenn die Betroffenen zum Beispiel bei Trennungen gerichtsverwertbare Dokumentationen ihrer psychischen Verletzungen oder körperlichen Blessuren als Beweismittel vorlegen können, dann helfe dies immens.
Handyfoto reicht nicht
«Es ist leider relativ selten, dass jemand gerade zum Rechtsmediziner kommen und sich untersuchen lassen kann», sagt Marc Bollmann, Chefarzt des Instituts für Rechtsmedizin am Kantonsspital Graubünden. Dies müsse von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben werden und sei teuer.
Ein Handyfoto reiche als offizielles Dokument vor Gericht nicht aus. Deshalb soll es dieses niederschwellige Angebot geben, wo sich Betroffene melden können.
Sexualstrafdelikte seien ein Spezialfall, sagt Marc Bollmann. Dort müsse oft schnell gehandelt werden, da es auch um übertragbare Krankheiten oder den Beweis über DNA-Spuren gehe. Darum gibt es für Betroffene bereits heute Notfallangebote, auch in der Frauenklinik. Trotzdem kann auch in einem solchen Fall die neue Sprechstunde aufgesucht werden.
Auch für Gewalttaten wie Schlägereien
Das Schwergewicht der Anlaufstelle dürfte bei Gewalttaten im häuslichen Umfeld liegen. Sie ist aber beispielsweise auch für Opfer von Schlägereien gedacht, die sich hier kostenlos untersuchen lassen können.
Rechtsmediziner Marc Bollmann ist überzeugt, dass allein schon das Reden über eine Tat und der Besitz von entsprechenden Beweisdokumenten bei der Verarbeitung des Traumas helfe.
Die «Sprechstunde Forensic Nursing» am Kantonsspital Graubünden wird durch Pflegefachfrauen durchgeführt, die sich entsprechend weitergebildet haben. Zwei Rechtsmediziner ergänzen das Team.
Via Arzt, Apothekerin oder Pfarrer
Die Sprechstunde soll breit kommuniziert werden. Betroffene sollen auch über Ärztinnen und Ärzte, Vertrauenspersonen in den Apotheken oder Pfarrerinnen und Pfarrer auf diese Möglichkeit hingewiesen werden.
Das Kantonsspital Graubünden in Chur erhält vom Kanton einen vierjährigen Leistungsauftrag - rund 170'000 Franken lässt sich dies der Kanton pro Jahr kosten. Bei Bedarf soll die Sprechstunde auf weitere Gesundheitseinrichtungen im Kanton ausgedehnt werden.
Das Angebot ist laut Kanton Graubünden das erste dieser Art in der Deutschschweiz. Ähnliche Angebote existieren bereits in der Westschweiz: Das Lausanner Universitätsspital CHUV hat bereits 2006 eine «Forensic Nursing»- Sprechstunde eingeführt, seit kurzem gibt es eine solche auch im Kanton Wallis.