Es ist eine der grössten Sorgen der Schweizer Bevölkerung: die steigenden Krankenkassenprämien. Linderung ist nicht in Sicht. Schon im Herbst dürfte der Bund den nächsten Prämienanstieg verkünden, was die Budgets der Haushalte zusätzlich belasten wird.
Politisch wurden die steigenden Krankenkassenprämien bislang vor allem von der Mitte und der SP angesprochen. Nun hat sich am Wochenende auch die Zürcher SVP-Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli zu diesem Thema zu Wort gemeldet.
Ricklis Vorschlag, die obligatorische Krankenversicherung abzuschaffen, erntete viel Kritik. Unter anderem, weil die Prämien für bestimmte Gruppen – für ältere Menschen und für solche mit Gesundheitsrisiken – tendenziell höher ausfallen dürften als heute.
Diese Gruppen wären ein ökonomisches Risiko, sagt Gesundheitsökonom Willy Oggier, und würden von den Krankenkassen wohl nur noch ungern versichert. «Für all jene, die auf die Grundversicherung angewiesen sind, für Grossrisiken wie Herz- oder Krebsbehandlungen, ist es dann schwieriger, eine Versicherungslösung zu finden», so Oggier.
Zeitpunkt für Diskussion sei «günstig»
Abgesehen von der inhaltlichen Debatte ist der Zeitpunkt spannend, zu welchem Rickli die Diskussion angestossen hat: zwei Monate vor den Wahlen. Das Wahlkampfteam der SVP war bislang monothematisch unterwegs, fokussiert auf das Thema Migration. Könnte diese von Rickli lancierte Debatte um die Krankenkassenprämien nun vom eigentlichen SVP-Wahlkampfthema ablenken?
Die Zuwanderung ist Mitschuld an den steigenden Gesundheitskosten und Prämien.
Martina Bircher, Vizepräsidentin der SVP, winkt ab: «Man muss festhalten, dass die Zuwanderung Mitschuld an den steigenden Gesundheitskosten und Prämien ist», so Bircher. Alleine im vergangenen Jahr seien 180'000 Personen zugezogen. Diese seien ab dem ersten Tag grundversichert und könnten Leistungen beziehen.
Der Zeitpunkt für die von Rickli angestossene Diskussion sei günstig, weil SP-Gesundheitsdirektor Alain Berset Ende Jahr zurücktrete, sagt SVP-Nationalrat Thomas de Courten. Es sei eine Gelegenheit, «dass man die Diskussion neu ohne Tabus führen muss». Dazu gehöre das Obligatorium in der Krankenversicherung.
Erinnerung an Managed-Care-Abstimmung
Allerdings weiss de Courten, dass diese Diskussion auch innerhalb der SVP kontrovers geführt werden dürfte. Schon bei der Managed-Care-Abstimmung vor zehn Jahren gab es einen Graben in der Partei, einen Graben zwischen Parteileitung und der SVP-Basis.
Wir haben gelernt, dass wir in der politischen Arbeit versuchen, unsere Entscheide entsprechend abzustützen.
«Ich kann mich gut an die Diskussion zu Managed-Care erinnern, wo die Verantwortungsträger aus der nationalen Politik vor der Parteibasis gescheitert sind. Wir haben daraus gelernt, dass wir in der politischen Arbeit versuchen, unsere Entscheide entsprechend abzustützen – auch im Gespräch mit unserer Wählerschaft», erklärt so de Courten.
Balanceakt für die SVP
Die Frage ist, wie sich die SVP-Wählerschaft zu einem möglichen Abbau der Krankenversicherung stellt, ob die Basis dies nicht auch kritisch sehen könnte. Für Bircher geht es nicht um Wählerstimmen, sondern um den Versuch, Grundprobleme zu lösen. «Beim Gesundheitswesen kommen wir nicht vom Fleck», betont sie.
Dass die Krankenkassenprämien im Herbst erneut steigen werden, ist bereits klar – und auch, dass die Bevölkerung Massnahmen dagegen erwartet. Allerdings sollten diese sozial verträglich sein, sonst dürften sie von der Wählerschaft kaum akzeptiert werden. Ein Balanceakt, auch für die SVP.