Mit dem Krieg Russlands und Donald Trumps Abkehr vom transatlantischen Verteidigungsbündnis müssen die Länder Europas zunehmend selbst für ihre Verteidigung sorgen – das betrifft auch die Schweiz. Während verschiedene europäische Länder massiv aufrüsten, wird auch in der Schweiz über Sicherheitspolitik und Verteidigungsfähigkeit debattiert. Zentrale Figur: der frisch gewählte Bundesrat Martin Pfister.
Auf den neuen Verteidigungsminister warten viele Baustellen. Eine davon ist der Zustand der Armee. «Eine Armee, die funktioniert und in der Lage ist, das Land zu verteidigen, ist die Lebensversicherung eines Staates», sagt SVP-Nationalrat Nicolas Kolly. «Wenn die Schweiz wirklich ein souveränes Land mit bewaffneter Neutralität bleiben will, dann müssen wir in der Lage sein, unserer Armee wieder angemessene Mittel zur Verfügung zu stellen. Heute ist das nicht der Fall», erklärt der Nationalrat.
«Die Armee ist ausgehungert»
Auch an der Generalversammlung der Offiziersgesellschaft beider Basel wird der Zustand der Schweizer Armee kritisch beurteilt: «Stellen Sie sich vor, wie ein Patient aussieht, der seit 1989 nur 50 Prozent des benötigten Kalorienbedarfs erhält – er ist ausgehungert», sagt Carl-Gustav Mez, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Offiziersgesellschaft.
Mez findet klare Worte: «Die Schweizer Armee, das VBS, die Infrastrukturen, die Ausrüstung, die Munition, das Material und die Mannschaft sind heute auf dem Stand eines Verhungernden», sagt der Oberst.
Auf die geopolitische Lage angesprochen äussert sich auch Johannes Nyfeler, Major im Generalstab, besorgt. «Ich frage mich, was es für mich als Offizier bedeutet, wenn ich einen Verband mit jungen Männern führen müsste und die Armee nicht bereit ist.»
Sorge unter jungen Dienstpflichtigen
In der Rekrutenschule Bière werden derzeit Aufklärungssoldaten ausgebildet. Doch neben Tarnübungen und Geländemärschen beschäftigt die jungen Männer hier eine Frage: Was, wenn die Schweiz tatsächlich in einen Konflikt hineingezogen wird?
Samuel Bonvin, ein 19-jähriger Rekrut, gibt offen zu: «Ich hoffe ehrlich gesagt nicht, dass ich mobilisiert werde. Aber mit der aktuellen politischen Lage würde es mich nicht wundern.» Letztere sei auch in den Debriefings des Oberleutnants immer häufiger Thema.
Genau das macht jungen Männern schon vor der Aushebung Sorgen. Sie zweifeln deshalb, ob sie sich überhaupt rekrutieren lassen sollen. Noé Vanetti, Gymnasiast aus Lausanne: «Ist es überhaupt richtig, in die Armee zu gehen?»
Ludovic Martinet, ebenfalls Gymnasiast, ist zwiegespalten. Denn ihm sei klar, dass es Menschen brauche, die im Ernstfall das Land verteidigten. «Andererseits will ich mein Leben nicht auf einem Schlachtfeld riskieren müssen, wenn es zu einem Konflikt kommt.»
Pfisters Aufgabe
Sowohl die Armee als auch das VBS sind in den letzten Wochen und Monaten durch negative Schlagzeilen aufgefallen: Beispielsweise der Millionenbetrug bei der Ruag, die Abgänge auf Führungsebene und die immer noch nicht fliegenden Drohnen sowie Kampfjets.
Die Herausforderungen für Bundesrat Pfister sind gewaltig. Es wird sich zeigen, wie der neue Verteidigungsminister die Sicherheitspolitik der Schweiz prägen wird.