In einem Interview zur Neutralitätsdebatte hat SP-Bundespräsident Alain Berset gesagt, er nehme bei «gewissen Kreisen» einen «Kriegsrausch» wahr. Seither hagelt es im Parlament Kritik. Was sagt seine Parteipräsidentin dazu? Mattea Meyer im Interview.
SRF News: Mattea Meyer, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie die Aussagen von Ihrem Bundespräsidenten Alain Berset gelesen haben?
Mattea Meyer: Ich selbst spüre keinen Kriegsrausch. Natürlich gibt es gewisse Kräfte, die versuchen, das jetzt auszunutzen, um das Budget der Armee zu erhöhen oder die Richtlinien für den Kriegsmaterialexport wieder zu entschärfen.
Ich selbst spüre keinen Kriegsrausch.
Aber es gibt einen, der tatsächlich einen Kriegsrausch hat, das ist Putin. Darum ist es unsere Pflicht, alles zu tun, um den Menschen in der Ukraine beizustehen.
Man weiss nicht genau, was Alain Berset mit «gewissen Kreisen» gemeint hat. Aber es ist auch eine Diskreditierung der Leute in der Schweiz, die die Wiederausfuhr von Schweizer Kriegsmaterial an die Ukraine gutheissen. Also wie auch Sie.
Ich habe Verständnis für die Menschen, die ganz generell gegen die Ausfuhr von Kriegsmaterial sind. Aber ich habe in dieser Sache eine andere Haltung als Bundespräsident Alain Berset, aber auch als der Gesamtbundesrat, der sich querstellt, der sich in dieser Frage hinter der Neutralität versteckt. Und der in allen anderen Bereichen, in denen die Schweiz etwas machen könnte, auch auf die Bremse steht.
Aber in diesem Interview hat der Bundespräsident nicht einfach die Haltung des Bundesrats wiedergegeben, es war eine persönliche Aussage von Alain Berset.
Das war eine persönliche Aussage von Alain Berset, die ich als Mattea Meyer, aber auch als SP-Co-Präsidentin, nicht teile und das ihm auch so mitgeteilt habe.
Wie hat er reagiert?
Wir sind natürlich im Austausch, wie auch in anderen Fragen. Das ist seine persönliche Haltung; wir teilen sie nicht.
Nochmals: Wie hat er reagiert?
Ich sitze da, um mit Ihnen zu diskutieren, was wir als SP machen können, um den Menschen in der Ukraine beizustehen. Es ist seine persönliche Haltung, die ich respektiere, die ich aber nicht teile.
Es ist nicht das erste Mal in letzter Zeit, dass er ins Fettnäpfchen tritt. Wird er, im Wahljahr, nicht langsam zum Problem für die SP?
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Aber selbstverständlich ärgert es mich, dass wir jetzt nicht über die zentrale Frage diskutieren können. Wie wir nämlich die Kriegsfinanzierung aus der Schweiz heraus stoppen können, und was wir sonst machen können, um den Menschen in der Ukraine, die seit einem Jahr unermessliches Leid erfahren, beistehen zu können.
Alain Berset sagte auch, er würde eine Verhandlungslösung bevorzugen. Das wollen wir alle. Die Frage ist: Ist das realistisch?
Wir alle wünschen uns sehnlichst einen Frieden. Die Frage ist aber auch: was für ein Frieden? Was Putin unter Frieden versteht, haben wir in Butscha gesehen, wo Schreckliches passiert ist. Ein solcher Frieden ist kein Frieden.
Ich würde es anmassend finden, als Nationalrätin aus der Schweiz heraus zu sagen, welche Verhandlungslösungen es braucht. Klar ist, dass wir der Ukraine beistehen müssen, auch in ihrem Recht, ihr Land verteidigen zu können.
Unterstützt der Bundespräsident mit seinen Aussagen nicht auch die Putin-Versteher?
Für mich ist klar: Genau wie die SP verurteilt auch der Bundespräsident diesen Krieg aufs Schärfste. Es gibt einen Aggressor, das ist Putin, und das kommt in diesem Interview auch zur Geltung.
Wenn man sieht, wer ihm jetzt applaudiert, dann war das sicher eine sehr unglückliche Aussage.
Aber wenn man sieht, wer ihm jetzt applaudiert, dann war das sicher eine sehr unglückliche Aussage.
Der Bundespräsident und mit ihm der ganze Bundesrat stellen sich klar gegen die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen. Sie haben sich dafür eingesetzt, doch letzte Woche sind zwei Vorstösse in dieser Sache abgelehnt worden. Wenn das mit den Wiederausfuhren nicht funktioniert, was muss die Schweiz dann machen?
Die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial ist nur ein kleiner Teil. Als Finanzdrehscheibe hätte die Schweiz einen viel grösseren Hebel, indem man russische Oligarchengelder sperrt und im besten Fall auch für den Wiederaufbau in der Ukraine zur Verfügung stellt.
Es stellt sich die Frage, wie man den Rohstoffhandel, der aus Russland über die Schweiz läuft, einschränken und so die Kriegsfinanzierung stoppen könnte. Es stellt sich auch die Frage, wie wir die Geflüchteten anständig aufnehmen und ihnen Schutz bieten können. Und letztlich könnte es auch um einen Schuldenschnitt gehen, wo die Schweiz, zusätzlich zur humanitären Hilfe, vorangehen könnte.
Das Gespräch führte Urs Leuthard.