Tontechniker Ruedi Schweizer hat nichts mehr zu tun. 37 Jahre war er «on the road», eilte von Konzert zu Konzert, in grossen Stadien und kleinen Bühnen sorgte er für den guten Ton. Sein Beruf ist sein Leben. Kein Job, eine Berufung.
Und heute? Es sehe traurig aus, sagt der Berner, seit März sei seine Agenda leer: «Einzig einen Anlass im Jahr 2024 habe ich noch eingeschrieben, das ist nicht gerade beruhigend.»
Wenn die soziale Leere aufs Gemüt schlägt
Selbständige Kulturschaffende wie Ruedi Schweizer verdienen keine grossen Löhne, haben oft keine Pensionskasse und keine bezahlten Ferien. Die finanzielle Hilfe des Bundes sei zwar schön und gut, aber sie reiche nur fürs Nötigste.
Vor allem aber könne sie die soziale Leere nicht ersetzen, sie schlage aufs Gemüt, sagt Schweizer: «Manchmal habe ich den Antrieb, die ganze Welt zu retten. Manchmal bin ich doch sehr frustriert, in eine Zukunft zu schauen, die es gar nicht mehr gibt.»
Manchmal bin ich doch sehr frustriert, in eine Zukunft zu schauen, die es gar nicht mehr gibt.
Ohne Perspektive kann es sein, dass viele Kulturschaffende irgendwann aufgeben müssen. Mit einer Wertschöpfung von 15 Milliarden Franken oder gut zwei Prozent am Bruttoinlandprodukt ist der Kultursektor kein grosser Player in der Schweizer Wirtschaft.
Ohne Kultur gibt es keine Gesellschaft
Aber kann man deshalb auf die Kultur verzichten? Auf gar keinen Fall, sagt Walter Leimgruber, Professor für Kulturwissenschaft in Basel: «Ohne Kultur gibt es eigentlich keine Gesellschaft, denn sie ist ein wesentliches Mittel der Verständigung und des Debattierens. Für mich ist die Kultur das Salz des Lebens.»
Kultur halte Gesellschaften zusammen, betont Leimgruber. Gerade in Krisenzeiten wie jetzt brauche der Mensch Zerstreuung, er müsse lachen können. Ohne Kultur würde er psychisch noch mehr leiden als jetzt bereits: «Das ist für uns eigentlich gar nicht vorstellbar. Das fehlt ganz viel. Kultur ist systemrelevant.»
Kultur ist systemrelevant.
Den Umgang mit der Coronakrise dürfe man zudem nicht nur der Politik und den Medien überlassen, fordert der Kulturwissenschaftler. Man müsse sie zeigen, in Filmen, oder man solle darüber lachen, in Comedy und Sketchen: «Wir schaden uns selber, wenn es diese Form der Aufheiterung, Ermunterung und des Nachdenkens nicht mehr gibt.»
Wir schaden uns selber, wenn es diese Form der Aufheiterung, Ermunterung und des Nachdenkens nicht mehr gibt.
Ähnliche Lage wie beim Pflegepersonal
Für Leimgruber sind die Kulturschaffenden in einer ähnlichen Situation wie das Pflegepersonal: Schlecht bezahlt und häufig nicht sehr geschätzt. Erst in einer Notsituation sehe man, wie wichtig sie eigentlich seien: «Wir werden uns der Frage stellen müssen, was uns wie viel wert ist. Und wie wir dafür sorgen können, dass die Menschen, die diese Leistungen erbringen, adäquat entlöhnt werden und auch das Gefühl haben, in dieser Gesellschaft wertgeschätzt zu werden.»
Darüber müsse jetzt diskutiert werden, sagt Kulturwissenschafter Leimgruber. Die Schweiz dürfe die Kultur nicht vor die Hunde gehen lassen.