Weil Lehrerinnen und Lehrer fehlen, sind auch Quereinsteigende mit anderer Berufserfahrung zunehmend gefragt. Pädagogische Hochschulen bieten spezielle Lehrgänge an, zum Beispiel die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Sie macht aus Floristinnen, Buchbindern oder Verkäuferinnen innert drei bis viereinhalb Jahren neue Lehrerinnen und Lehrer.
Die drei Pädagogischen Hochschulen von Bern, Zürich und der Nordwestschweiz locken Quereinsteigende mit Lehrgängen an, die unter anderem Teilzeitjobs bereits nach einem Jahr Basisausbildung bieten. Das gleiche Angebot gibt es ab Herbst auch in St. Gallen und im Thurgau. Der Vorteil davon sei, dass die Interessierten sehr früh Unterrichtspraxis gewinnen, erklärt Philipp Hirsch, Leiter Lehr- und Curriculumsentwicklung der FHNW.
Nach einem Jahr Ausbildung vor der Klasse
Das vor drei Jahren eingeführte Modell ist inzwischen so beliebt, dass es die FHNW auf alle Lehrpersonen-Ausbildungsgänge ausweitet. Künftig stehen damit normale junge Nachwuchs-Lehrerinnen und -Lehrer ohne sonstige Berufserfahrung bereits nach zwei Jahren vor Schulklassen.
Laut der Erziehungsdirektorenkonferenz EDK absolvieren in mehreren Kantonen normale PH-Studierende Praktika vor Klassen, etwa in Bern oder Thurgau. Neu am FHNW-Modell sei aber die enge Begleitung dieses frühen Berufseinstiegs in einem eigenen Ausbildungsmodell.
So sehen sie, ob das der richtige Beruf ist für sie oder nicht.
Dieses Modell funktioniert dank Teilzeitstellen, welche die Kantone anbieten. Urs Bucher, Leiter der Volksschulen in Basel-Stadt, begrüsst sehr, dass angehende Lehrpersonen früh Kontakt haben mit den Klassen, dem Unterrichten und der Praxis – auch «damit sie sehen, wie das ist und auch von sich aus entscheiden können, ob das der richtige Beruf ist für sie oder nicht».
Bucher glaubt nicht, dass Leute ohne Berufserfahrung zu jung sein könnten, um vor eine Klasse zu treten, und die Unterrichts-Qualität leiden könnte. «Das kann gelingen. Wir dürfen unseren jungen Leuten viel zumuten und auch zutrauen.»
An Quereinsteigenden schätze er ausserdem, dass sie etwas aus einem anderen Beruf mit in die Schule bringen: «Die stehen schon mit beiden Beinen im Leben.»
Benjamin Trüssel ist einer der Quereinsteiger vor der Wandtafel: Als gelernter Buchbinder habe er in den Verkauf gewechselt und Videospiele verkauft. Er bringe so das Wissen mit, welche Filme Jugendliche schauten und welche Games sie spielten.
Seine Motivation für den Lehrberuf erklärt er auch mit der Verantwortung: «Die Schulzeit ist eine prägende Zeit. Ein Teil davon zu sein, finde ich sehr spannend und sehr schön.»
In einer Woche Unterrichten lernt man mehr als in einem Jahr Studieren.
Trüssels Fazit nach bald zwei Jahren Teilzeit-Lehrerschaft neben der Ausbildung: «In einer Woche Unterrichten lernt man mehr als in einem Jahr Studieren.» Zwar steht er alleine vor der Klasse, wird aber unterstützt von einem erfahrenen Lehrerkollegen, der ihm Tipps und Tricks mitgibt.
Nachteile sieht der fortgeschrittene Quereinsteiger Trüssel schon: Er müsse mit wenig Lohn durchkommen und habe mit rund 60 Wochenstunden eine grosse Arbeitsbelastung – gerade weil er alles das erste Mal mache und so nicht in eine Schublade greifen könne. Zudem dauert das Praxismodell etwas länger als die Standard-Ausbildung. Philipp Hirsch von der FHNW räumt ein, dass die Ausbildung zur Lehrkraft anspruchsvoll sei. Ansprüche für Quereinsteiger zu senken sei nicht möglich, denn Ziel sei ja ein anerkanntes Diplom.