Gleich zwei Frauen an einem Tag ziehen in den Bundesrat ein. «Ein schönes Abschiedsgeschenk», freut sich die Vorkämpferin für Frauenrechte, Susanne Leutenegger Oberholzer. 23 Jahre lang hat sie im Nationalrat gekämpft, argumentiert, gekontert und attackiert. Zuerst für die Linkspartei Poch.
Politik ist etwas Schönes. Aber man muss auch eine dicke Haut haben und Rückschläge verdauen können.
Dann, nach einem achtjährigen Unterbruch, für die SP. Immer mit vollem Einsatz. Immer minutiös vorbereitet. Die Baselbieterin hat in dieser Zeit fast ausschliesslich für die Politik gelebt. Und dabei all deren Sonnen- und Schattenseiten kennengelernt: «Politik ist etwas Schönes, weil man etwas erreichen kann. Aber man muss auch sehr resistent sein, man muss eine dicke Haut haben und auch Rückschläge verdauen können.»
Viele Geschäfte hätten sie gefordert, meint sie rückblickend. Ihre Nerven arg strapaziert habe etwa die sogenannte «Lex USA», die den Steuerstreit mit den USA hätte lösen sollen. Ihre grösste Niederlage sei das EWR-Nein gewesen.
Hohen persönlichen Preis bezahlt
Das schmerze noch heute. Hat sich das ganze Engagement denn überhaupt gelohnt? «Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Ich habe ein paar grosse Geschäfte gehabt, da finde ich, ja, das hat sich gelohnt. Aber der persönliche Preis ist natürlich sehr hoch.» Am Ende ihrer Politkarriere scheint hier eine Verletzlichkeit durch, die die Kämpferin vorher kaum gezeigt hat.
Als extrem starke Persönlichkeit werde er sie in Erinnerung behalten, sagt Beat Jans, Vizepräsident der SP. «Sie war eine unglaublich fleissige Person.» Es sei unvorstellbar, wie sie es geschafft habe, «so viele Kenntnisse in so vielen Dossiers zu erwerben und immer präsent zu sein», sagt Jans. «Das hat mich beeindruckt, das ist einzigartig.»
Ich bin von einem starken Gerechtigkeitstrieb beseelt. Das war für mich immer die Triebkraft.
Selbst bei der SVP zollt man ihr Respekt. Jean-François Rime hat jahrelang mit ihr in der Wirtschaftskommission zusammengearbeitet. «Sie war eine sehr harte Gegnerin. Nicht nur weil wir nicht gleicher Meinung waren, aber sie war immer extrem gut vorbereitet.»
Politik mache man nicht für sich, betont die Vollblutpolitikerin an ihrem letzten Tag im Bundeshaus: «Ich bin von einem starken Gerechtigkeitstrieb beseelt, das habe ich schon von meiner Mutter mitbekommen. Und dieser Einsatz für Menschen mit tiefen und mittleren Einkommen, für die Umwelt, gegen AKW, für die internationale Solidarität, das war für mich immer die Triebkraft.»
Wie ein Schmetterling im Bundeshaus
Jetzt muss sie loslassen. Das Pult in der Wandelhalle ist geräumt. Das Kapitel Bundespolitik habe sie abgeschlossen, sagt «SLO», wie sie hier alle nennen. Von Ruhestand aber will die 70-Jährige nichts wissen: «Ich möchte an die Universität, ich habe sehr viele Bildungslücken. Und ich muss wieder lernen, konzentriert zu arbeiten. In der Politik sind wir ein wenig wie Schmetterlinge, die herumfliegen», sagt einer der schillerndsten Schmetterlinge unter der Bundeshauskuppel und faltet seine Flügel.
Ich war ja nie so das Herdentier, ich habe häufig einfach für mich gearbeitet.
Ob sie den Politbetrieb denn nicht vermissen werde? Ach, antwortet sie: «Ich war ja nie so das Herdentier, ich habe häufig einfach für mich gearbeitet.» Was ihr aber sicher fehlen werde, sei die Arbeit in den Kommissionen: «Die sehr qualifizierte Unterstützung durch die vielen Mitarbeitenden in diesem Haus. Das Nahe am Puls sein, Geschäfte auch mitbeeinflussen zu können.»
Das werde ihr fehlen, das könne man nicht wegdiskutieren: «Aber ich habe das ja schon einmal erlebt, 1991, also ich denke, ich packe das.»