«Der Gewerkschaftsbund sollte mit gutem Beispiel vorangehen und eine Frau an die Spitze des grössten Arbeitnehmer/innen-Verbands wählen», sagt Michela Bovolenta, Zentralsekretärin des VPOD Romandie. Bovolenta ist Teil des Präsidiums der Frauenkommission des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB – und diese ruft dazu auf, unbedingt eine Frau ins höchste Gewerkschaftsamt zu wählen. «Es wäre ein wichtiges Zeichen für unsere Gesellschaft».
«Ja, es ist Zeit für eine SGB-Präsidentin» – so der Titel des Apells. Die Frauenkommission kritisiert den Kandidaten Pierre-Yves Maillard nicht aufgrund seiner Positionen, doch «er ist ein Mann und wir wünschen uns eine Frau als Präsidentin des Gewerkschaftsbundes». Unter anderem weil die Gewerkschaften die wichtigste politische Kraft in der Frage der Gleichstellung seien.
Am Samstag wählen die Delegierten die Nachfolge von Präsident Paul Rechsteiner. Zur Wahl steht neben Pierre-Yves Maillard auch eine Frau: Die St. Galler Nationalrätin und SP-Vizepräsidentin Barbara Gysi.
Frauenfrage vorher klären
Pierre-Yves Maillard zeigt im Interview mit der «Rundschau» Verständnis für die Geschlechter-Diskussion. Genau deswegen habe er sich eine Kandidatur sehr genau überlegt und zahlreiche Gespräche zu diesem Thema geführt, als er für den Posten angefragt worden sei.
Er habe in der Findungskommission die Frage gestellt, ob die Wahl für einen Mann offen sei. «Die Antwort war einstimmig Ja. Dann habe ich meine Kandidatur eingegeben». Man habe ihm gesagt, die Frage stehe nicht im Vordergrund. Denn die Frauen seien in den Führungen der grossen Gewerkschaften gut vertreten.
In der Tat hat Maillard viele Fürsprecher in den Gewerkschaften. Die grösste Gewerkschaft Unia und jene des Verkehrspersonals SEV haben ihn nominiert. Und die Gewerkschaft Syndicom hat ihm ihre Unterstützung zugesichert. Dass die Diskussion um die Frauenfrage jetzt, kurz vor der Wahl, hochkoche, findet Maillard reichlich spät – das hätte man vorher diskutieren müssen.
Feministinnen warnen
Die Forderung nach einer Frau an der Spitze der Gewerkschaften zieht derweil weitere Kreise. Kurz vor der Wahl wird die Stimme der Feministinnen lauter. Für 2019 planen gewerkschaftliche und feministische Kreise einen zweiten Frauenstreik.
«Ein Mann an der Spitze der Gewerkschaften ist jetzt ein völlig falsches Zeichen», sagt Manuela Honegger Heller, Mitglied Frauenstreikorganisation Romandie. «Die Politik in der Schweiz ist immer noch so, dass alle für sich selber einstehen und für Bedürfnisse und Rechte kämpfen, die sie selbst betreffen.» Deshalb müsse eine Frau an die Spitze des SGB.
Maillard wehrt sich dezidiert gegen diesen Vorwurf. Er setze sich sehr wohl für Frauen ein – und habe das in seiner politischen und gewerkschaftlichen Tätigkeit auch immer wieder gezeigt. Wenn man jetzt die Männer ausgrenze, dünne man lediglich das Feld jener aus, die sich gegen soziale Ungleichheit auflehnen. «Ich habe noch nie gehört, dass ich, nur weil ich ein Mann bin, nichts für die Gleichstellung tun kann».