Mit seinen Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus ist der Bundesrat bislang entschieden aber besonnen vorgegangen. Am 16. März beschloss er, Läden, Restaurants, Freizeitanlagen und Dienstleister wie Coiffeursalons zu schliessen. Gleichzeitig verzichtete er auf eine rigorose Ausgangssperre wie sie zum Teil in den Nachbarländern herrschte oder noch immer herrscht.
Hochseilakt für den Bundesrat
Damit setzte der Bundesrat auf die hierzulande viel beschworene Eigenverantwortung der Menschen. Und es hat funktioniert. Mit einiger Verzögerung begannen die Massnahmen zu greifen. Die Verbreitung des Virus ist nicht mehr exponentiell. Die Zahl der Neuinfektionen ist rückläufig. Unterdessen steckt jeder Infizierte in der Schweiz im Durchschnitt weniger als einen weiteren Menschen neu an. Am Anfang der Pandemie hat jeder Infizierte das Virus an drei bis vier Menschen weitergegeben.
Damit ist das Virus aktuell unter Kontrolle und der Moment gekommen, in dem der Bundesrat die Massnahmen lockern kann. Es gelte natürlich, so schnell wie möglich zu lockern, um den wirtschaftlichen Schaden für die Schweiz möglichst kleinzuhalten, sagte Bundesrat Alain Berset am Ostermontag der Tagesschau. Gleichzeitig wolle man auf jeden Fall ein Neuaufflammen vermeiden. Es ist ein Hochseilakt für den Bundesrat. Heikel wäre es, wenn er die Massnahmen nach einer zu raschen Lockerung wieder verschärfen müsste.
Wirtschaft wiederbeleben, Virus unter Kontrolle halten
Der Bundesrat wird die Massnahmen deshalb schrittweise lockern, wie er dies bereits angekündigt hat. Denkbar ist es, dass am 27. April zunächst nur personenbezogene Dienstleister sowie Gärtnereien und Gartencenter wieder öffnen dürfen. Zwei Wochen später, am 11. Mai, könnte ein Teil der Schulen wieder öffnen. Restaurants, Bars und Freizeitanlagen müssten bis zu vier weitere Wochen, bis am 8. Juni, geschlossen bleiben. So oder ähnlich könnte der Antrag von Bundesrat Berset an den Gesamtbundesrat morgen lauten, wie bundesratsnahe Quellen bestätigen.
Diese schrittweise Öffnung würde es erlauben, die Auswirkung der jeweiligen Schritte auf die Verbreitung des Coronavirus zu beobachten, bevor es grünes Licht gibt für den nächsten Schritt. Sollte die Infektionsrate wieder zunehmen, könnten die weiteren Schritte verzögert werden. So soll die Wirtschaft langsam wieder in Schwung kommen und das Coronavirus gleichzeitig unter Kontrolle bleiben.
Prinzip «Versuch und Irrtum»
Verschiedene Medien berichten über heftige Diskussionen hinter den Kulissen über das anzuschlagende Tempo der Öffnung. Gleichzeitig steht der Bundesrat von allen Seiten unter enormem politischem Druck. Die meisten fordern eine möglichst schnelle Wiederbelebung der gesamten Wirtschaft. Es gilt Unternehmen zu retten und damit Arbeitsplätze zu erhalten.
Der Bundesrat wird bemüht sein, auch dieses Mal entschlossen wie besonnen zu handeln. Die Schwierigkeit dabei: Letztlich weiss niemand, wo die richtige Balance liegt zwischen dem Schutz der öffentlichen Gesundheit und den ebenso legitimen wirtschaftlichen Interessen von uns allen. Es ist ein Vorgehen nach dem Prinzip «Versuch und Irrtum». Wie gut die Entscheide des Bundesrates sind, zeigt sich jeweils erst zwei Wochen später anhand der Pandemie-Zahlen. Und diese stellen dem Bundesrat, zumindest seit er das Heft in die Hand genommen hat, kein allzu schlechtes Zeugnis aus.