Die Lage ist verzwickt für den Bundesrat. Die Fallzahlen sinken. Längst nicht so schnell wie einst angestrebt, aber sie sinken stetig. Täglich wächst deshalb der Druck aus Wirtschaft und Politik nach Lockerungen oder zumindest Öffnungsperspektiven. Auf der anderen Seite steht das Wachstum der ansteckenderen Virusvarianten. Ein Wachstum, das gemäss Szenario der Wissenschafts-Taskforce die Fallzahlen ab März insgesamt wieder steigen lassen könnte.
Und wie reagiert der Bundesrat? Mit einem Entscheid, der in höchst ungewöhnlichen Zeiten fast schon ein bisschen wie ein normaler Bundesratsentscheid anmutet. Einer, der niemanden richtig begeistert, einige enttäuscht, aber viele möglicherweise ganz in Ordnung finden. Der Bundesrat gibt dem Lockerungsdruck etwas nach und erteilt Maximalforderungen eine Absage. In gewöhnlichen Zeiten würde man von mittlerer Unzufriedenheit sprechen.
Eine hoffnungsvolle Perspektive
Mit dem «vorsichtigen Öffnungsschritt», wie er es selber nennt, gibt der Bundesrat der ermüdeten Bevölkerung eine hoffnungsvolle Perspektive. Und – so wohl das Kalkül – hält damit die Bereitschaft aufrecht, sich weiterhin an die geltenden Massnahmen zu halten. Der Bundesrat, so sagte es heute Gesundheitsminister Berset, ist nämlich grundsätzlich sehr zufrieden mit der Corona-Disziplin.
Um Herr und Frau Schweizer im Rahmen des Möglichen bei der Stange zu halten, nimmt der Bundesrat allerdings auch Risiken in Kauf. Die ersten Lockerungen – falls sie in einer Woche definitiv bestätigt werden – würden zu einem Zeitpunkt in Kraft treten, wo der Einfluss der ansteckenderen Varianten wohl noch immer nicht klarer ist als heute. Auch wie sich der grösste Schritt, die Öffnung aller Läden, auswirken wird, kann niemand wirklich voraussagen. Die Schliessung im Januar habe nicht zu einer grossen Senkung der Fallzahlen geführt, sagen jene, die die Läden wieder öffnen wollen. Skeptische Stimmen halten dem entgegen: Die gesunkene Mobilität durch Ladenschliessungen habe möglicherweise mitgeholfen, den Einfluss der Virus-Mutationen zu dämpfen.
Für die nächsten Schritte ab April hat der Bundesrat jedoch Sicherungen eingebaut. Möglich wären Öffnungen nur, wenn bestimmte Werte nicht überschritten werden. Von einem zum nächsten Schritt will man mindestens einen Monat warten. Die Auswirkung der Lockerungen kann so besser beurteilt werden – anders als im Frühling, als die Lockerungsintervalle immer kürzer wurden. Und: Regionale Öffnungen für Kantone mit einer besseren epidemiologischen Situation sind nicht vorgesehen. Anders als im Dezember, als Restaurants in der Romandie offen bleiben durften. Und sich ein eigentlicher Beizentourismus zwischen den Regionen entwickelte. Mit diesen Entscheiden hat der Bundesrat gezeigt, dass er aus eigenen Fehlern gelernt hat.
Ein Bundesrat, der Fehler eingesteht, der nicht Landesmutter und Landesväter spielt. Ein Bundesrat, der versucht, die verschiedenen Interessen auszugleichen. Und zugibt, dass es auch schiefgehen kann. Ein ganz gewöhnlicher Bundesrat. Immerhin etwas Gewöhnliches in diesen ungewöhnlichen Zeiten.